zum Hauptinhalt

Sport: Das Ende der Stagnation

Nach Jahren des Stillstands auf hohem Niveau bewegt sich Hertha BSC wieder – allerdings in die falsche Richtung

München. Der unschöne Nachmittag endete für Huub Stevens doch noch mit einer schönen Überraschung. Der Reporter vom holländischen Fernsehsender, der das Spiel zwischen Bayern München und Hertha BSC live kommentiert hatte, überreichte seinem Landsmann eine Plastiktüte mit vier Paketen. Sinterklaas steht bevor, die holländische Variante des Weihnachtsfestes, und als vorgezogenes Geschenk bekam Stevens für sich und seine Familie die Banket-Letters, Buchstaben aus Marzipan, mit denen am Pakjesavond die Plätze an der Festtafel ausgewiesen werden. Wenn in Deutschland am Nikolaustag der Adventsstress erst losgeht, kehrt in Holland wieder winterliche Stille ein. Bei Huub Stevens, dem Trainer des Berliner Fußball-Bundesligisten, könnte das in diesem Jahr anders sein. „Wir müssen bis Weihnachten alles gewinnen, damit es nicht unruhig wird“, sagt Mittelfeldspieler Pal Dardai.

Drei Spiele stehen in diesem Jahr noch an: die beiden Bundesliga-Partien gegen Wolfsburg und in Kaiserslautern und dazwischen das Uefa-Cup-Rückspiel beim FC Fulham. Es sind drei wichtige Spiele für Hertha BSC. Im Uefa-Cup müssen die Berliner schon aus finanziellen Gründen den Einzug ins Achtelfinale schaffen; und in der Bundesliga geht es darum, den Anschluss nicht zu verlieren. Nach der 0:2-Niederlage bei Bayern München ist Hertha auf Platz acht zurückgefallen und dort gelandet, wo die Mannschaft vom eigenen Selbstverständnis her nicht sein dürfte: im traurigen Mittelmaß.

Manager Dieter Hoeneß schwankt in diesen Tagen zwischen Realität und Übermut. „Man sollte nicht zu viel erwarten“, sagt er einerseits, und dass Bayern „für uns gar nicht der Maßstab ist“; andererseits will Hoeneß in sechs Jahren den aktuellen Deutschen Meister Borussia Dortmund einholen, um danach die Bayern anzugreifen. „Wir werden sukzessive weiterkommen“, sagt er. So wie sie bisher auch stets weitergekommen sind. Vor sechs Jahren spielte der Verein noch in der Zweiten Liga, seitdem hat er sich in die nationale Spitze hochgearbeitet. Dort, auf hohem Niveau, stagnierte die Mannschaft zuletzt. Nun immerhin bewegt sie sich wieder. Allerdings in die falsche Richtung.

Eigentlich hat Hertha vor der Saison alles richtig gemacht, um die nächsthöhere Qualitätsstufe zu erreichen. In Luizao hat sie einen Stürmer verpflichtet, der im Sommer mit Brasilien Weltmeister geworden war. Doch in der Bundesliga hat Luizao noch kein einziges Tor erzielt. Herthas Sturm ist mit 16 Toren der drittschlechteste der Liga, in den letzten drei Spielen hat die Mannschaft nur einmal getroffen.

Zu den richtigen Entscheidungen gehörte auch, sich nach sechs Jahren gemeinsamer Arbeit vom Aufstiegstrainer Jürgen Röber zu trennen und ihn durch Stevens zu ersetzen. Stevens war der beste Trainer, den Hertha bekommen konnte. Er ist als Fachmann anerkannt, er spricht Deutsch, und er hatte mit Schalke Erfolg. Inzwischen aber wird wieder die Frage gestellt, die die Öffentlichkeit bereits Anfang des Jahres beschäftigt hat: Passt Stevens zu Hertha? Oder andersherum: Verstehen die Spieler, was Stevens will? Das Spiel wirkt konzeptlos, dabei hat Herthas Trainer dezidierte Vorstellungen vom Auftritt seiner Mannschaft: Es müsse eine Balance im Team geben, sagt Stevens immer wieder. Doch dieses Gleichgewicht hat Hertha noch nicht gefunden. Zurzeit besitzt die Defensive ein klares Übergewicht. Ein wenig scheint es, als ob die Mannschaft alle Kraft vergeude im Bestreben, das eigene Tor zu sichern – zu Lasten der eigenen Offensive. Besonders deutlich wurde das gegen die Bayern. Seine Mannschaft habe taktisch diszipliniert und gut gestanden, sagte Stevens. Aber Fußball ist ein Laufspiel.

Dieter Hoeneß hat in der vergangenen Woche angekündigt, dass der Verein ein statistisches Verfahren entwickle, mit dem die Effizienz jedes Spielers gemessen werden soll. Das statistische Verfahren, um die Effizienz des Trainers zu messen, ist die Tabelle. Völlig verzerrt ist die aktuelle Darstellung nicht, denn von den sieben Mannschaften, die vor Hertha stehen, hat Hertha nur eine geschlagen: den Hamburger SV. Vor einem Jahr, nach einer keineswegs berauschenden Hinserie, hatte Hertha nach dem 15. Spieltag bereits fünf Punkte mehr, am Ende der Vorrunde waren es insgesamt 31. Das kann die Mannschaft nicht mehr schaffen. „Wenn wir sechs Punkte holen, sieht’s wieder besser aus“, sagt Marko Rehmer. Trainer Stevens erwartet von seinen Spielern, „dass sie am nächsten Samstag wieder ein Zeichen setzen – gegenüber dem Publikum, aber auch gegenüber uns selbst“. Und gegenüber der Konkurrenz, die Herthas Absturz offenbar noch gar nicht registriert hat. Bayerns Trainer Ottmar Hitzfeld sagte am Samstag nach dem Spiel: „Beide Mannschaften haben gezeigt, dass sie berechtigterweise oben stehen.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false