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Sport: Das erste Gold

Ditte Kotzian und Conny Schmalfuß siegen im Springen

Berlin. Bestimmt hat Großmutter Kotzian mit geweint. Die Tränen ihres Enkelkindes jedenfalls waren deutlich genug zu sehen. In der Schwimmhalle an der Landsberger Allee liefen sie auf einer großen Videoleinwand, und dann, kurzer Kameraschwenk, sah man neben Ditte Kotzian auch noch Conny Schmalfuß. Die wischte sich ebenfalls Wasser aus den Augenwinkeln. Es war ja auch ergreifend. Die deutsche Nationalhymne klang durch die Halle, und irgendwo zwischen den Zuschauern stand Großmutter Kotzian. Sie war extra gekommen, um ihr Enkelkind zu sehen und es zu unterstützen. Es hatte sich gelohnt. Die Tränen liefen bei der Siegerehrung des Synchronspringens der Frauen vom 3-Meter-Brett, und die Berlinerinnen Kotzian und Schmalfuß waren gerade Europameisterinnen geworden. Das erste Gold für Deutschland bei dieser Europameisterschaft.

Es war nicht bloß ein normaler Erfolg, es war eine kleine Sensation. Denn gestern besiegten Kotzian/Schmalfuß (312,0 Punkte) zum ersten Mal, seit sie gemeinsam springen, seit zwei Jahren also, die russischen Ausnahme-Springerinnen Vera Ilian und Julia Pachalina (308,76). „Das ist absolut sensationell“, sagte Bundestrainerin Ursula Klinger. Und Ditte Kotzian verkündete: „Wir sind sehr glücklich.“ Und: „Wir waren vor dem Wettkampf unheimlich aufgeregt.“

Nicht bloß vor dem Wettkampf. Denn vor dem fünften, dem entscheidenden Durchgang, zitterten den beiden die Knie. Und schlecht war ihnen auch. „Wir hatten Magendrücken“, sagte Kotzian. „Wir durften ja keinen Fehler machen.“ Aber irgendwie müssen sich auch noch ein enormes Maß an Nervenstärke abgerufen haben. Anders war dieser Erfolg schließlich nicht möglich. „Die beiden haben den kleinen Freiraum, den ihnen die Russinen gegeben hatten, eiskalt genutzt. Die Russinen haben leicht gepatzt, und Ditte und Conny haben das exzellent ausgenutzt“, sagte die Bundestrainerin.

Es war einer dieser Wettbewerbe, bei denen Kleinigkeiten über Gold und Silber entscheiden. Die Deutschen, das war eigentlich von Anfang an klar, würden zumindest Silber gewinnen. Die Konkurrenz war einfach zu schlecht. Aber Gold, das schien eigentlich für die Russinnen reserviert zu sein, die Titelverteidigerinnen. „Ditte und Conny haben das Pech, dass sie ein solches Ausnahmepaar vor sich haben“, hatte Ursula Klinger vor dem Wettbewerb gesagt. Aber so perfekt waren die Russinen an diesem Tag denn doch nicht. Ihren vierten Durchgang verpatzten sie. Besser gesagt: Sie sprangen nicht ganz perfekt, und als sie das sah, dachte Ditte Kotzian: „Es könnte reichen.“ Denn sie hatten bis dahin keinen größeren Fehler gemacht. Deshalb lagen die Deutschen nach dem dritten Durchgang auch in Führung. Aber der Vorsprung war so minimal, dass die kleinste Unsauberkeit gravierende Folgen hätte haben können.

Und trotz der Führung, trotz des verpatzten vierten Durchgangs der Russinnen, zitterten Kotzian und Schmalfuß die Knie. Und der Magen drückte. „Aber da“, sagte Ditte Kotzian, „muss man einfach durch. Da muss man weiter springen.“ Als die Berlinerinnen dann ihren letzten Sprung absolviert hatten, nach den Russinen, und als dann auf der Anzeigetafel stand, dass sie auf Platz eins geblieben waren. da fielen sie sich noch im Wasser um den Hals, während ein paar Meter weiter, wo deutsche Schwimmer und Kunstrpinger saßen, ein Dutzend schwarz-rot-goldene Fahnen geschwenkt wurden. Trommelschläge dröhnten, Tröten heulten durch die Halle, und Kotzian und Schmalfuß hüpften wie kleine Kinder, nachdem sie aus dem Becken geklettert waren. „Die Stimmung war ausgezeichnet. Sie hilft unheimlich. man macht einfach einen besseren Wettkampf“, sagte Conny Schmalfuß.

Sie hatte so ganz nebenbei auch noch einen ganz besonderen Rekord aufgestellt. Sie hat seit gestern vier EM-Medaillen im Synchronspringen mit vier verschiedenen Partnerinnen. 1997 hatte sie mit Claudia Bockner aus Leipzig zum ersten Mal den EM-Titel gewonnen, 1999 und 2000 sprang sie mit Simona Koch aus Berlin beziehungsweise Dörte Lindener aus Rostock jeweils auf den zweiten Platz. „Aber mit Ditte läuft es von all meinen bisherigen Partnerinnen am besten“, sagt die 26-jährige Jurastudentin vom Berliner TSC.

Und irgendwie haben die beiden auch nicht diesen Drang zur medialen Selbstvermarktung. Als nach dem Synchronspringen ein ziemlich aufgeregter deutscher Betreuer zu ihnen kam und sagte: „Kommt bitte sofort zur ARD. Die wollen ein Live-Interview mit euch machen“, da verzogen Kotzian und Schmalfuß erst mal das Gesicht. Also wurde der Betreuer drängender: „Na, kommt schon, das ist eine Chance.“ Da standen sie dann noch noch auf. Zwei Minuten später waren sie im Fernsehen zu sehen, bundesweit. Nur in der Halle nicht. Alles hat Großmutter Kotzian gestern von ihrem Enkelkind denn doch nicht mitbekommen. Frank Bachner

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