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Sport: Das Familienüberhaupt

30 Jahre war er der FC Bayern. Jetzt hat sich Uli Hoeneß als Manager verabschiedet – in großer Sorge um sein Vermächtnis

Vor ein paar Tagen hatte Uli Hoeneß den gesamten Trainerstab des FC Bayern München zu sich nach Hause eingeladen, dem Vernehmen nach ging es hoch und gut gelaunt her. „Sogar der Louis war locker und hat gelacht“, erzählt Hoeneß und schaut, als glaube er selber nicht, was er gesehen habe.

Das war noch vor dem gewonnenen Spiel gegen Haifa, das sie in München jetzt zu gerne als den Beginn der Wende zum Besseren betrachten würden. Das waren Tage, in denen die von Trainer Louis van Gaal gezählt schienen, unter anderem auch, weil Lockerheit und Lachen eher nicht zu dessen charakterlichen Eigenschaften zu zählen sind. Und es herrschte eine Stimmung, aus der heraus der Manager Hoeneß den Trainer am liebsten eher gestern als heute rausgeworfen hätte, er hat das nur sehr mangelhaft in seinen offiziellen Äußerungen kaschieren können.

Aber geht das so einfach, wäre das nicht als Regelfall des Misserfolges durchgegangen? Sieben Monate nach dem Rauswurf des Trainers Klinsmann schon das nächste Eingeständnis, bei der Personalwahl daneben gegriffen zu haben? Und das als letzte Amtshandlung, als Finale des Managers Uli Hoeneß? Er hätte auch gleich sagen können, dass er nach 30 Jahren sein Amt nicht deshalb aufgibt, weil es genug ist und er rechtzeitig seinem Nachfolger Platz machen wolle, sondern weil er sein Gespür verloren habe und einen Fehler an den anderen reiht. Dergleichen wurde ihm das ein oder andere Mal vorgehalten, zuletzt sehr böse in der Süddeutschen Zeitung von einem Michael Lerchenberg, der ansonsten beim Starkbieranstich auf dem Münchner Nockherberg den „Bruder Barnabas“ gibt.

Am Freitag hat sich das Problem verschoben. Der Manager Uli Hoeneß ist nicht mehr der Manager, die Mitglieder sind aufgestanden für ihn, Gemütsmensch Hoeneß hat tief durchatmen müssen, und dann haben sie ihn mit 99 Prozent ihrer Stimmen zum Vereinspräsidenten gewählt.

Als solcher wird er wohl maßgeblich an der immer noch drohenden und immer noch wahrscheinlichen Demission des Trainers mitwirken, aber er muss sie nicht selbst ausführen. Als übler Treppenwitz seiner eigenen Geschichte aber wird dieses letzte Jahr seiner Tätigkeit bestehen bleiben. „Wie es mir geht“, sagte er vor den vermeintlichen Endspielen des FC Bayern gegen Bayer Leverkusen und eben Maccabi Haifa, „wissen Sie was, ich werde krank, ich bin krank.“ Er sagt das in dem Büro, das er seit 30 Jahren bewohnt und das er auch weiter bewohnen wird, nur mit einem anderen Schild an der Tür. Und er sagt das mit Blick aus dem Fenster, aus dem er seit 30 Jahren schaut mit der Aussicht auf sein Werk. Man glaubt ihm sofort, dass der Genesungsprozess auch nach den beiden Spielen noch nicht in Gang gekommen ist.

Wie auch? Im Zieleinlauf ist der Manager ins Stolpern geraten. Am Freitag hat Uli Hoeneß dem Verein seine Schuldigkeit gegeben, oder wollte es. Der Kaufmann in Hoeneß hat das mit dem besten Geschäftsergebnis aller Zeiten getan. Mit dem zusätzlichen Deal mit Audi, das sich mit 90 Millionen Euro für 2,5 Millionen Aktien an der FC Bayern AG beteiligt und den rund 100 Millionen Euro der Telekom bis 2013 steht der Verein wirtschaftlich weltweit an der Spitze.

Aber der andere Hoeneß, der leidenschaftliche, für den Fußball immer noch das Spiel der großen Jungs ist, der er selber noch ist mit 57 Jahren, der trat am Freitag unbefriedigt vor die Versammlung – und ab. Weil das frühzeitige Ausscheiden aus der Champions League noch nicht abgewendet ist, weil die Tabellensituation, so sie sich nicht bessert, für den FC Bayern einer Katastrophe gleichkommt, weil das gesamte Gefüge erschüttert ist und weiterhin unklar ist, ob Hoeneß seine Seele im Verein so tief verankert hat, dass er beruhigt von Bord gehen kann.

Vor zwei Jahren hatten der FC Bayern und Uli Hoeneß vor allem uralte Prinzipien über den Haufen geworfen und sich dem globalisierten Markt mit dessen Mitteln entgegengestemmt. Hatten Weltstars verpflichtet und bezahlt wie Franck Ribéry und Luca Toni und haben vor dieser Saison noch einmal nachgelegt und eingekauft in den Volumina, in denen sonst nur der FC Chelsea, Real Madrid oder der FC Barcelona zu investieren pflegen. Ob da eine Art metaphysischer Zusammenhang besteht, dass der FC Bayern in Gänze aus der Spur gerät, in dem Moment, in dem er sein Innerstes aufgibt und das Spiel der Mächtigen mitzuspielen versucht?

Krisen hat sich der FC Bayern München immer schon genommen, das heißt, sie wurden dem Klub nachgesagt, nahezu mit schöner Regelmäßigkeit im Herbst, nach zwei, drei schwächeren Spielen. Dann meldete sich Kassandra bei den Münchner Boulevardblättern und verkündete das Ende der Ära des Rekordmeisters. Und mit einer ebensolchen Regelmäßigkeit verwies Uli Hoeneß in seinem Büro mit gehöriger Gelassenheit auf die tatsächlichen Krisen der Welt, auf Hunger und Elend, auf Afghanistan, Irak, wo immer es gerade brannte, „das sind Krisen, der FC Bayern hat keine Krise“. Und so war es dann auch immer, nicht nur in der Relation, auch im richtigen Spielbetrieb, „dann haben wir uns geruckelt und geschüttelt, und dann war alles wieder im Lot“, sagt Hoeneß, „aber diesmal ist es anders.“

Das andere wird sichtbar, wenn ein Spieler, Philipp Lahm, ein Interview gibt, indem er die Vereinsführung diskussionswürdig kritisiert und sich hinterher herausstellt, dass sein Berater die Diskussionsbeiträge vor allem deshalb lanciert hat, „weil sich der Philipp ja irgendwie profilieren muss“, es wird also sichtbar, wenn der FC Bayern als Mittel zum Zweck verkommt. Und das andere wird sichtbar, wenn ein anderer Spieler, Luca Toni, am Spieltag vorzeitig nach Hause geht und anschließend mit diversen Statements so lange insistiert, bis er endlich suspendiert wird, wenn also der FC Bayern kein Hort des Verbleibs mehr ist, sondern nur noch Durchgangsstation bis sich etwas Besseres findet.

Und deutlich sieht man das andere, wenn man sich das Training anschaut, immer noch der beste Seismograph für die innere Befindlichkeit einer Fußballmannschaft. Das hat es beim FC Bayern in der Tat noch nie gegeben, dass ein Trainer sein Menschenbild, das aus dem 18. Jahrhundert oder früher zu stammen scheint, an seinen Spielern austobt. Da schreit van Gaal die Spieler an wie störrische Esel, nicht einmal eruptiv, sondern als Geschäftssprache. Und den Spielern ist anzusehen, wie das bei ihnen ankommt, sie zucken zusammen, sie schleichen, wie etwa Stürmer Mario Gomez, mit hängenden Schultern über den Platz. Eine Freude, beim berühmtesten und reichsten und erfolgreichsten Klub Deutschlands angestellt zu sein und dort Fußball spielen zu dürfen, ist nicht mehr sichtbar.

Man kann das andere auch hören, wenn die internen Geschichten geflüstert werden, Geschichten vom Umgang des Trainers mit seinen Mitmenschen. Vielleicht mag man es noch als skurril abtun, dass der Mijnheer sich von seinen Töchtern siezen lässt. Wenig lustig wird es der Arzt Müller-Wohlfahrt finden, wenn der Trainer im spanischen Trainingslager von ihm verlangt statt in kurzer Turnhose in langer Trainingshose rum zu laufen, der Arzt ist 66 Jahre alt und muss sich eigentlich keine Kleidervorschriften mehr machen lassen.

Auch der Spieler Baumjohann, der als eines der großen Talente im deutschen Fußball gilt, wird es nicht spaßig gefunden haben, als der Trainer ihm zu Beginn seines Engagements mitteilte, dass er das Fußballspielen nun so gar nicht könne und es doch bitte erst einmal bei den Amateuren erlernen soll. Die Sitzordnung im Trainingslager und beim gemeinsamen Essen: Da dürfen die Spieler nur gruppenweise ans Buffet treten, aufs Handzeichen des Trainers, und Tisch eins muss am Ende sitzen bleiben, obwohl alles verspeist ist und der letzte Tisch noch nicht einmal zum Essenfassen vortreten durfte. Unter solchen Umständen ist es schwer zu gedeihen und man ahnt nach Kenntnisnahme solcher Storys, wie schwer die Krankheit des Uli Hoeneß ist. Denn das war es doch auch, was ihn alle Jahre antrieb: dem FC Bayern München einen Kapitalismus mit menschlichem Antlitz zu verinnerlichen.

Es ist im Übrigen ein sicheres Zeichen der Krise, wenn solche Interna nahezu öffentlich verhandelt werden, wenn ausgeplaudert wird, was in den Kabinen gesprochen wird, es sind dies die Zeichen, dass die Gemeinschaft keine mehr ist. Das war etwa bei Otto Rehhagel so, als öffentlich wurde, dass er seine Münchner Spieler vor einem dunkelhäutigen Gegenspieler aus Rostock mit den Worten warnte: „Denken Sie daran, der Neger will Ihren Arbeitsplatz.“ Oder es war bei Erich Ribbeck nicht anders, als Spieler Journalisten erzählten, dass ihr Mittelfeldstratege Jan Wouters dem Trainer die Geheimnisse der Viererkette mit Hilfe von Kaffeetassen und Milchtöpfchen erklärt hatte. Beide waren danach nicht mehr lange Trainer des FC Bayern.

Aber da lag Inkompetenz vor, bei van Gaal ist die Verachtung Wesensmerkmal, und die Freude am Beruf und der Spaß daran scheinen ihm Teufelswerk zu sein. Scheinbar zusammenhanglos erzählt Uli Hoeneß von der kurzen Zeit des Glücks am Ende der vorigen Saison. Da kam sein enger Freund Jupp Heynckes zur Aushilfe nach München, übernahm die Mannschaft für die letzten fünf Spiele der Saison. Ganz warm und weich wird da seine Stimme und die Augen leuchten, „weil da war doch alles da, die harte Arbeit und die Freude, die Liebe zum Spiel, zum Lachen, zum Genuss“.

Die Erinnerung ist wohl nur scheinbar zusammenhanglos. „Ich kann mit Louis“, sagt Hoeneß, „schon auch am Abend vor einem Spiel einen Rotwein trinken.“ Man muss dazu wissen, dass der Rotwein mit dem Trainer am Vorabend eines Spiels seit Jahren zu einem der liebsten Rituale von Uli Hoeneß gehört. „Aber jetzt muss ich fast bis Mitternacht warten, weil der Trainer so lange arbeitet.“

30 Jahre Manager. Keiner hat einen Verein derart geprägt wie Uli Hoeneß den FC Bayern, keiner hat so viel Veränderungen geschafft wie er, für den Klub, für den Fußball insgesamt. Kaum einer ist mehr gescholten worden, kaum einer wurde öfter verkannt und so falsch interpretiert, wie es falscher nicht sein kann.

Unten auf dem Vereinsgelände gehen die Angestellten jetzt zu Tisch in die Kantine. Eine Firma, ein Familienbetrieb. Hans Pflügler, der ehemalige Nationalverteidiger geht Essen, „Mahlzeit!“, Raimond Aumann, der ehemalige Torwart hat auch Hunger, Mehmet Scholl, heute Trainer, schreitet vorbei, Wolfgang Dremmler, heute Scout, nimmt noch einen Kaffee nach dem Essen, es ist die Atmosphäre eines Betriebs, der mit sich im Reinen ist. „Wehmut? Nein“, sagt Uli Hoeneß, „für Wehmut hatte ich noch gar keine Zeit.“ Er gehe ja nicht, er werde weiter für den Verein arbeiten, vielleicht nicht mehr täglich anwesend sein, aber schon oft genug.

Kürzlich sei seine langjährige Sekretärin, die gute Frau Potthoff zu ihm gekommen, „was wird denn jetzt, hat sie gefragt“, sagt Uli Hoeneß, „ach, Frau Potthoff, habe ich gesagt, sie haben noch ein Jahr bis zur Rente, und dann werden wir ja sehen und dann machen wir einfach weiter.“ Ob der Louis das noch miterleben darf in München? „Also ich sage Louis und duze ihn“, hatte Hoeneß beiläufig erzählt, „er siezt mich.“ Ob als Manager oder als Präsident, das passt einfach nicht zur Familie.

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