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Dünenstürmer. Nasser Al-Attiyah aus Katar (unten) führt die Rallye Dakar knapp vor seinem spanischen VW-Teamkollegen Carlos Sainz an, Volkswagen wird den Wettbewerb wohl zum dritten Mal in Folge gewinnen. Foto: AFP

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Sport: Das Flüstern im Sand

Interne Duelle bei VW: Al-Attiyah kämpft gegen Sainz um den Sieg bei der Rallye Dakar, Sportchef Nissen um seine Zukunft

Von Christian Hönicke

Nasser Al-Attiyah schaut hoch in die sandigen Berge, die er gerade hinuntergestürzt ist. „Die Dünen hier sind doch leicht“, sagt er und grinst mit seinen angebrochenen Vorderzähnen in den Staub vor der chilenischen Stadt Copiapo. „Ich bin schon mit zehn Jahren in einem Suzuki in Katar über Dünen gefahren, in denen du sogar zu Fuß versinkst.“ Zu Hause im Treibsand von Katar holte sich der Sprössling der dortigen Königsfamilie das Rüstzeug für die härteste und umstrittenste Wüstenrallye der Welt, die Dakar. Derzeit wagt er mit dem deutschen Beifahrer Timo Gottschalk den vierten Anlauf und kämpft gegen seinen VW-Teamkollegen Carlos Sainz um den Gesamtsieg bei der Wüstenraserei in Chile und Argentinien.

Der Zweikampf der beiden ungleichen Teamkollegen elektrisiert die Rallye, die ansonsten unter der Dominanz des einzigen echten Werksteams noch ein wenig mehr ächzt als ohnehin schon unter den Strapazen. Schon letztes Jahr war das Duell zwischen der Rallye-Legende aus Spanien und des Draufgängers aus der katarischen Königsfamilie so heftig verlaufen, dass sie sich sogar auf der Strecke ins Gehege kamen. Auf einer Etappe wollte Sainz den schnelleren Verfolger nicht vorbeilassen, der Katari machte sich mit ein paar Remplern bemerkbar. Am Ende gewann Sainz trotzdem, mit gerade einmal zwei Minuten Vorsprung nach fast 10 000 Kilometern quer durch Südamerika. Diesmal liegt Al-Attiyah nach zehn von 13 Etappen mit 12:37 Minuten Vorsprung vor seinem Stallrivalen an der Spitze – nachdem Sainz sich auf der zehnten Etappe im Sand festgefahren hatte und mehr als neun Minuten verlor. „Morgen mache ich Carlos die Klimaanlage kaputt, ohne die kommt er nicht klar“, hatte Al-Attiyah bereits vor dieser Prüfung gestichelt. Letztes Jahr hat er selbst am Ende darauf verzichtet, „das brachte sieben Kilo Gewichtsersparnis“.

So treiben sich beide zu immer neuen Risiken. Der Dünenflüsterer Al-Attiyah schoss auf der fünften Etappe in Nordchile mit Tempo 220 eine Riesendüne mit 36 Prozent Gefälle herab. „Es geht bis zum Ziel in Buenos Aires um Sekunden, und ich habe allein 20 Sekunden in dieser Düne herausgeholt“, sagt Al-Attiyah nicht ohne Stolz über seinen Coup und schaut wieder in die braunen Berge. Dabei sollte er jetzt eigentlich in einem gut klimatisierten Büro sitzen.

Als 19-Jähriger stieg er in den Rallye-Sport ein, „bis mich 1994 der Emir zum Aufhören gebracht hat. Er hatte anderes mit mir vor, mehr Repräsentatives.“ Doch das war nichts für ihn, Al-Attiyah sucht die Selbstbestätigung im Wettbewerb. So tobte er sich im Tontaubenschießen aus, 2004 in Athen wurde er Olympiavierter, auch 2012 will er in London wieder antreten, nebenbei kauft und reitet er edle Pferde. Seit 2003 darf Al-Attiyah endlich wieder seiner wahren Leidenschaft nachgehen: über Sand rasen. Man wollte einen Einheimischen, der bei der neuen Rallye durch Katar den ausländischen Fahrern Paroli bieten kann. Al-Attiyah gewann, danach fragte ihn der große Clanboss: „Was ist dein Traum? Ich sagte: Die Dakar. Er sagte: Hier ist das Geld, mach!“

Erst kaufte er sich beim halb professionellen X-Raid-BMW-Team ein, dann wechselte er zum VW-Konzern, der ohnehin zu 20 Prozent seiner Familie gehört. 2009 war er ganz dicht vor dem Triumph, wurde aber disqualifiziert. Diesmal könnte er seinen Traum wahr machen, wenn er sich im harten Duell mit dem südamerikanischen Wüstensand und mit seinem Stallrivalen Sainz durchsetzt. Obwohl beide schon vor der zehnten Etappe einen riesigen Vorsprung auf den ersten Nicht-VW-Piloten Stephane Peterhansel im X-Raid-BMW hatten, wollte Kris Nissen zumindest offiziell von Stallregie nichts wissen. „Wir lassen sie frei fahren, das wollen die Fans auch sehen“, sagte der VW-Motorsportchef.

Es ist nicht die einzige knifflige Frage, die Nissen dieser Tage beantworten muss. Während eigentlich nur noch das Wie und kaum noch das Ob des dritten VW-Sieges in Folge bei der Dakar geklärt werden muss, steht zur Debatte, wie es mit ihm und auch mit dem Autokonzern im Motorsport weitergeht. Das Engagement beim härtesten und auch umstrittensten Rennspektakel der Welt ist nur bis dieses Jahr gesichert, die Motorsportaktivitäten aller Konzernmarken wie Audi, Porsche und Skoda sollen neu organisiert werden. Die Muttermarke VW liebäugelt mit einem Einstieg in die Rallye-Weltmeisterschaft WRC. Es wird gemunkelt, dass Porsche dann die Dakar übernimmt. Ein paar Leute aus Zuffenhausen sind schon im Dakar-Tross dabei und erkundigen sich, wie sie die Rennwagen mit ein paar Handgriffen für nächstes Jahr vielleicht in einen Porsche umwandeln können. Im Februar soll die Entscheidung fallen.

Ob Nissen dann noch an Bord ist, hängt vom Ausgang des anderen spannenden VW-internen Duells ab, das bei der Dakar diskutiert wird. Offensichtlich arbeitet vermutlich ein ranghoher Volkswagen-Funktionär offensiv an der Ablösung des Dänen. Fortlaufend werden gezielt Vorwürfe lanciert. Es geht um sexuelle Belästigung, Betrug und Steuerhinterziehung; aus der gleichen Ecke gestreuten Gerüchten zufolge soll Nissen demnach die Ablösung nach der Dakar erwarten. Im Konzernvorstand schweigt man bisher. Und die anderen warten gespannt, ob sich einer der Bosse im Ziel in Buenos Aires blicken lässt. Auch der kantige Kris Nissen weiß, dass sich aus der Anwesenheitsliste bei der Siegeszeremonie viel über seine Zukunft ablesen lässt. „Die letzten zwei Jahre ist jemand vom Vorstand gekommen“, sagt er, „aber jetzt müssen wir erstmal ein paar Tage hinter uns bringen und uns dann überraschen lassen.“

Nasser Al-Attiyah interessiert das alles wenig. Weder das Schicksal von VW noch das von Nissen gehen ihm besonders nahe. Er hat schon seinen eigenen Fahrplan für die Zukunft. „Wenn Volkswagen aufhören sollte, übernehme ich eben das Team“, sagt er und zieht wieder einmal grinsend mit der Selbstgewissheit eines Adligen die Schultern hoch. „Wäre doch blöd, so schnelle Autos einfach stehen zu lassen.“

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