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Sport: Das Glück der Untüchtigen

Champions League: Wie Liverpool Chelsea rettete

Assistenztrainer Henk ten Cate und Torwartcoach Christophe Lollichon rauchten vor der Chelsea-Kabine die berühmte Zigarette danach. Danach lief ten Cate, der in Mannschaftskreisen wegen seiner cholerischen Brüllanfälle nicht wohl gelitten ist, mit wedelnden Armen wie ein aufgeregtes Cheergirl zurück zur Mannschaft. Kurz darauf kam Eugene Tennenbaum, die rechte Hand von Chelsea-Besitzer Roman Abramowitsch, aus dem Kabinentrakt. Fünf Minuten vor dem Schlusspfiff hatte der kanadische Investmentbanker die Vip-Tribüne kopfschüttelnd verlassen. Der FC Liverpool führte da noch mit 1:0 durch einen Treffer von Dirk Kuyt kurz vor der Halbzeit und schien dem zweiten, entscheidenden Tor nahe. Tennenbaum sah zu diesem Zeitpunkt einem sehr unangenehmen Telefonat mit Abramowitsch entgegen. Er hätte dem in Russland weilenden Oligarchen nur schreckliche Dinge zu berichten gehabt. Chelsea hatte miserabel gespielt, Trainer Avram Grant mal wieder konfus gewechselt. Michael Ballack, noch der Beste im desolaten Mittelfeld, musste in der 86. Minute für den zweiten Stürmer Nicolas Anelka Platz machen, und der Traum vom ersten Champions-League-Finale schien seit 2004 zum vierten Mal im Halbfinale zu zerplatzen. Nach dem Ende der Partie aber trug Tennenbaum plötzlich jenes bubenhaftes Lächeln im Gesicht, für das in England einst der Ausdruck „the cat who got the cream“ erfunden wurde. Die Katze hatte die Milch bekommen. Und wie. Der unglückliche Eigentorschütze John Arne Riise, hatte sie Chelsea in der fünften Minute der Nachspielzeit in den Napf geschüttet. Das machte den Erfolg noch genüsslicher.

„Jenseits des Sinns“, fand der „Guardian“ das Resultat, „unverdient“ nannte es Liverpools völlig entnervter Trainer Rafael Benítez. Das Spiel seiner Mannschaft hatte immerhin Methode erkennen lassen. Frühes Pressing und klare, genaue Bälle auf die bewegliche Spitze Fernando Torres hatten Liverpool zahlreiche Chancen eröffnet. Chelseas Mittelfeld wackelte im Gegensatz dazu über den Platz. Zu den vielen individuellen Ausfällen gesellten sich viele Ballverluste. „Normalerweise werden solche Fehler bestraft“, sagte Ballack. Sie hatten wirklich alles unternommen, um zu verlieren, verließen aber nach Riises Flugkopfball ins eigene Netz als halber Sieg den Nordwesten. Liverpool muss nunmehr im Rückspiel gewinnen oder hoch unentschieden spielen, also auf Tore spielen. Das liegt dem FC nicht. Acht Mal ist Benítez an der Stamford Bridge angetreten, acht Mal gelang kein Tor. „Wir haben einen großen Vorteil“, sagte Grant, den die englische Presse in Anlehnung an Vorgänger José Mourinho („The Special One“) am Mittwoch prompt in „The Lucky One“ (der Glückliche) umtaufte. Der anfangs unsichere, später famose Torwart Petr Cech behauptete, man habe sich das Glück „hart erarbeitet“. Ballack wunderte sich zwar über seine Auswechslung, doch das 1:1 hatte ihn versöhnt. „Die Spiele zwischen Chelsea und Liverpool laufen meistens so ab“, sagte er, „es gibt wenig Chancen, beide warten nur auf Fehler, darunter leidet ein bisschen die Qualität. Im Rückspiel wird es nicht anders sein“.

„Betrüger!“ und „Diebe!“ schallte es den Chelsea-Spielern auf dem Weg zum Bus entgegen. Frank Lampard, der auch persönlich beleidigt wurde, schaute kurz auf, und lächelte vergnügt. Er wusste: nach Gerechtigkeit suchen nur die Verlierer.

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