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Sport: Das Glück des Flüchtigen

Jens Voigt fährt bei der Tour de France ins Gelbe Trikot – Jan Ullrich stürzt und freut sich auf den Ruhetag

Es war ein langer Weg, aber das ist Jens Voigt gewohnt. Gestern hat der Weg sich wirklich gelohnt, zum zweiten Mal nach 2001 trägt der Berliner das Gelbe Trikot des Führenden in der Gesamtwertung bei der Tour de France. Der 33-Jährige ist für seine Ausreißversuche berühmt. Gestern fuhr er auf der 171 Kilometer langen neunten Etappe von Gérardmer nach Mulhouse 150 Kilometer lang mit ein paar Fluchtgefährten vor dem Hauptfeld und kam schließlich als Dritter ins Ziel.

Die ganze Woche über hatte Voigt seinem Teamchef Bjarne Riis in den Ohren gelegen: „Darf ich weg?“ Stets hatte Riis geantwortet: „Nein.“ Am Sonntagmorgen aber bekam der Ungeduldige bei der Besprechung im Bus freie Fahrt. Riis gab für das CSC-Team die Taktik aus: „Alle bleiben schön ruhig bei Ivan Basso. Außer Jens.“ Das Ziel war klar: Das Gelbe Trikot holen, wohlwissend, dass Armstrong sein angeschlagenes Team nicht auf diesen Deutschen hetzen würde. „Es war meine letzte Chance. Ich habe sie genutzt“, sagte Voigt glückstrahlend. „Man muss nur hartnäckig genug auf das Glück einprügeln. Dann neigt es sich auch auf deine Seite.“

Der Etappensieg ging an den Dänen Mickael Rasmussen, der bei der ersten schweren Bergetappe der Tour drei Minuten vor Voigt und dem zweitplatzierten Christophe Moreau ins Ziel kam. Voigt hat in der Gesamtwertung nun 1:50 Minuten Vorsprung vor Moreau. Dritter ist Lance Armstrong mit 2:18 Minuten Rückstand. Der Amerikaner kam gemeinsam mit Jan Ullrich, Alexander Winokurow und den anderen Favoriten sechs Minuten nach dem Sieger Rasmussen ins Ziel.

Auf der Abfahrt vom ersten Berg, dem Col de la Grosse Pierre, hatte es einen Schockmoment für das T-Mobile-Team gegeben – Ullrich stürzte. Der Mitfavorit zog sich Prellungen zu, als er von einer Windböe erfasst wurde, in einen Graben fuhr und sich dort nach eigener Aussage „drei bis vier Mal“ überschlug. Dabei brach sein Helm. „Ich scheine hier für die spektakulären Sachen zuständig zu sein“, sagte der Leidgeprüfte selbstironisch. Der T-Mobile-Kapitän, der am linken Oberschenkel Schürfwunden aufwies und am rechten Knie blutete, soll heute untersucht werden. Ein Verdacht auf Rippenbruch bestätigte sich nicht. „Ich freue mich nun auf den Ruhetag. Da kann ich den Sturz verkraften“, sagte Ullrich gestern aber zuversichtlich.

Kurz vor Ullrichs Pech hatte David Zabriskie das Rennen aufgegeben. Nach seinem Sieg im Auftaktzeitfahren hatte der US-Amerikaner drei Tage das Gelbe Trikot getragen. Ein wichtiger Fahrer von CSC fiel also aus, ein anderer, Jens Voigt, startete bald darauf seine große Attacke. Noch vor der Gruppe um Voigt fuhr Mickael Rasmussen gemeinsam mit dem Italiener Dario Cioni, der später zurückfiel. Schon auf dem Grand Ballon, dem ersten der zwei schwierigen Berge an diesem Tag, hatten sich die Ausreißer ihren Vorsprung erarbeitet, den sie nicht mehr hergaben. Zwanzig Kilometer vor dem Ziel hatte Voigt noch einen Defekt am Hinterrad, doch Moreau wartete auf seinen Fluchtgefährten, um die Etappe gemeinsam zu beenden. Im Ziel bedankte sich Voigt dafür ausdrücklich bei dem Franzosen. „Das war sehr fair von ihm.“

Hartmut Scherzer[Mulhouse]

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