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Wieder mit breiter Brust. Mario Gomez feiert seinen zweiten Treffer in Wien. Foto: dpa

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Sport: Das Image vom Leib gerissen

Mario Gomez korrigiert mit seinen zwei Treffern ein falsches Bild von sich

Als sich Mario Gomez mitten in der lauwarmen Nacht von Wien zu zwei Fotos mit zwei verschiedenen Fernsehreportern bereitwillig überreden ließ, wusste er, dass er es geschafft hatte. Bis vor Kurzem hätte sich vermutlich niemand freiwillig lächelnd an die Schulter des langen deutschen Angreifers gelehnt. Wer hätte schon ein Foto von sich mit dem deutschen Chancentod haben wollen? Dieses Image wurde ihm vor drei Jahren übergestülpt, weil er hier, im Wiener Ernst-Happel-Stadion, eine traumsichere Torchance tollpatschig vergeben hatte. „Heute hatte ich das Glück auf meiner Seite, damals das Pech“, sagte Gomez und lächelte in die Kameras.

Der Fußball schreibt bekanntlich viele wundersame Geschichten, aber kaum eine ist so filmreif wie die von Mario Gomez. Es lief an jenem 16. Juni 2008 das entscheidende Gruppenspiel der deutschen Elf gegen den EM-Gastgeber, als ihm Miroslav Klose einen flachen Pass quer vors österreichische Tor legte. Der Ball tippte noch einmal kurz auf und prallte Gomez ans rechte Schienbein. Im Stadion aber sah man nur, wie er doch tatsächlich das Kunststück fertigbrachte, diesen Ball aus lächerlichen zwei Metern Entfernung über das Tor zu schießen. Was für ein Blinder, hieß es hinterher unter den Fans. Und am Ende war es dann wieder einmal Michael Ballack, der mit seinem Gewaltschuss die Deutschen im Turnier hielt und Bundestrainer Joachim Löw den Job rettete. Aber das ist wieder eine andere Geschichte.

Mario Gomez hat lange an seiner Geschichte getragen. Wen interessierte es jetzt noch, dass er so ziemlich jedes Jahr stetig um die 20 Tore in der Bundesliga geschossen hat? Von jenem Tag in Wien an war das Image des Chancentods geboren. „Seit diesem Tag war das die öffentliche Wahrnehmung“, hat Gomez vor ein paar Tagen erzählt: „Das war mein Los. Wenn ich eine Chance versemmelte, hieß es: Da ist er wieder, der Gomez.“

Und trotzdem haben die Bayern ihn im Sommer danach, 2009, für 30 Millionen Euro verpflichtet. Ihn, den Sohn eines aus der Provinz Granada stammenden Spaniers und einer Deutschen. Und auch in München schien es anfangs so, als laufe er diesem Fehlschuss hinterher. Vor allem aber im Nationaltrikot konnte er nie befreit aufspielen, wenn er denn spielte. Kein Tor bei jener EM 2008, und kein Tor in vier Kurzeinsätzen bei der WM im vorigen Jahr. „Er hatte eine Phase in der Nationalmannschaft, da ist vieles nicht gelaufen. Aber jetzt bin ich mit ihm absolut zufrieden.“ Das sagte Joachim Löw im März dieses Jahres, als Gomez in Mönchengladbach gegen Australien mal wieder getroffen hatte. Dennoch war er von den tausenden Fans im Stadion ausgepfiffen, seine spätere Auswechslung sogar beklatscht worden. „Ich weiß nicht, was in den Leuten vorgeht“, hatte Gomez hinterher gesagt und verschwand mit einer tief ins Gesicht gezogenen Mütze in die Nacht.

Man muss diese Vorgeschichte im Kopf haben, um einschätzen zu können, was an diesem Freitagabend in Wien geschah, als derselbe Mario Gomez kurz vor der Halbzeit erst das 1:0 und kurz vor dem Schlusspfiff den 2:1-Siegtreffer erzielte. Vor allem sein erster Treffer war eine Befreiung. Denn ziemlich genau an jener Stelle, wo ihm damals das Malheur unterlaufen war, fiel ihm nun wieder der Ball vor die Füße. Jetzt aber drückte er ihn über die Torlinie und küsste anschließend gleich den Pfosten. Es mag einem kitschig vorkommen, aber in jenem Moment war zu sehen, welche Last von ihm abfiel.

Und nebenbei hat er die deutsche Elf vor einer Blamage gerettet, was ihm Joachim Löw hoch anrechnete. „Im Abschluss war er die ganze Zeit unglaublich treffsicher und klar in seinen Aktionen. Nach einer überragenden Saison für die Bayern strotzt er vor Selbstbewusstsein“, sagte der Bundestrainer.

Fragt sich jetzt, inwiefern die beiden Tore beim Publikum etwas bewirken. Nach dem Siegtreffer war Gomez in die Kurve der deutschen Fans gelaufen, die ihn in vielen Länderspielen ausgepfiffen hatten. Endlich hatte er seinen ganz persönlichen Fluch bezwungen.

Nach dem zweiten Tor riss er sich das Trikot vom Leib, als wenn er sein Image abstreifte. Die Gelbe Karte dafür war ihm egal. Er bekam einen warmen Applaus.

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