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Sport: Das ist die Höhe

Der Paralympics-Star Oscar Pistorius verliert im Finale, weil sein Konkurrent offenbar künstlich hohe Prothesen benutzt – das erzürnt auch andere Sportler.

Oscar Pistorius ist nicht länger der schnellste Mann der Welt ohne Beine. Am späten Sonntagabend sprintete der fünf Jahre jüngere Brasilianer Alan Fonteles Cardoso Oliveira über die 200 Meter der Startklasse T 44 völlig überraschend vor dem Favoriten ins Ziel – offenbar vor allem deshalb, weil ihm viel längere Carbonprothesen einen technischen Vorsprung verschafften. Pistorius hat Beschwerde beim Internationalen Paralympischen Komitee eingereicht und beschwerte sich deutlich: „Das war kein faires Rennen.“ Damit hat die Diskussion über Gerechtigkeit, Klassifizierung und sogenanntes „Technik-Doping“ eine neue Dramatik erreicht. Pistorius, der wegen seines Olympiastarts jahrelang vor dem Sportgerichtshof Cas gegen Vorwürfe kämpfte, seine Carbonbeine würden ihm ungerechte Vorteile gegenüber Nichtbehinderten verschaffen, erhebt damit nun selber Anklage.

Oliveira lag auf seinen viel höheren Carbonbeinen nach dem Start noch mitten im Läuferfeld und holte dann auf der Geraden mit vergleichsweise kleinen Tippelschritten rasend auf – obwohl er zunächst weit hinter Pistorius lag. „Ich gratuliere Alan und will seine Leistung nicht schmälern", sagte Pistorius sichtlich niedergeschlagen nach dem Zieleinlauf. „Aber ich weiß nicht, wie man acht Meter Rückstand auf 100 Metern aufholen kann, wenn ich 10 Meter pro Sekunde renne.“ Oliveira ging mit 21,45 Sekunden ins Ziel, Pistorius lief 21,52 – mit seiner Weltrekord-Vorlaufzeit von 21,30 vom Vortag hätte der Südafrikaner den Konkurrenten aus Rio de Janeiro geschlagen. „Ich habe noch nie ein 200-Meter-Rennen verloren“, sagte Pistorius. „Jetzt kommen Läufer, die ihre Zeit in wenigen Monaten um zwei Sekunden verbessern, letztes Jahr noch kleiner waren und mich wegen neuer längerer Prothesen plötzlich überragen.“

Der Sieger erklärte, er habe Gold verdient. „Solche Polemiken von meinem großen Vorbild zu hören, ist nicht schön.“ Oliveira, dem die Unterschenkel als Kleinkind nach einer Darmsepsis amputiert werden mussten, kann nicht lang auf den harten Rennbeinen stehen, er sprach mit der Presse auf einem Stuhl sitzend, mit zu seinem Oberkörper proportional zu lang wirkenden „Unterschenkeln“, seine Oberschenkel ragten im Sitzen schräg nach oben.

Im Reglement bedient sich der Behindertensport der Körpervermessung, wie sie auch in der Weltraumforschung herangezogen wird. Bei den Athleten wird die Länge des Armes bis zur Mitte des Oberkörpers geprüft, mit einer komplexen Formel wird dann die maximale Körperhöhe festgelegt. Demnach darf Oliveira maximal 185,4 Zentimeter groß sein, rechnet der deutsche Leichathletikchef Ralf Otto vor. „Pistorius dürfte sogar 193,5 Zentimeter groß sein“, er ist aber viel kleiner als der Brasilianer. Und der deutsche Prothesenläufer David Behre rechnet vor: „Ich war vor meinem Unfall 1,82 Meter und bin es jetzt noch mit Prothesen. Laut Reglement dürfte ich aber 1,93 Meter hoch sein. Da kann was nicht stimmen.“ Auch Behre zufolge waren die Konkurrenten Blake Leeper und Oliveira „bei der WM noch zehn Zentimeter kleiner, aber sie verhalten sich regelkonform. Da muss was passieren, die Größe kann bis zu 20 Zentimeter pro Schritt ausmachen.“

Würde Pistorius, der als Kind Unterschenkelamputierte, nun seine Carbonbeine mit Adaptern und Passteilen tatsächlich erhöhen, würde er sicher neue Debatten bei potenziellen Olympiastarts auslösen. Doch schon jetzt haben die Paralympics ihr großes Streitthema – schließlich stehen die 100-Meter-Rennen ebenso noch an wie Pistorius’ Lieblingsdisziplin, die 400 Meter.

Der Behindertensport-Weltverband IPC will die Vorwürfe des geschlagenen Helden nun prüfen. Bis zu den Spielen 2016 in Rio soll es möglicherweise andere Regeln geben.

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