zum Hauptinhalt

Sport: Das Lachen von Ronaldinho

Er entlarvt den falschen Ernst des Fußballs. Damit gibt der Brasilianer dem Sport die Heiligkeit zurück

Der Mann hat wahrlich Grund zu guter Laune. Noch vor der letzten Weltmeisterschaft hätte man ihm den Untergang in die Unbeachtlichkeit mit guten Gründen prognostizieren können. Doch heute, vier Jahre danach, ist Ronaldinho unbestreitbar zur dominierenden Persönlichkeit des Weltfußballs aufgestiegen. Als Kapitän des FC Barcelona dirigiert er die ansehnlichsten Partien der Dekade und steht vor dem Triumph in der Champions League, mit Brasiliens Nationalmannschaft ist er für das nahende Weltturnier einzig vorstellbarer Titelkandidat. Mit gerade einmal 26 Jahren befindet sich Ronaldinhos Spiel auf einsam hohem Niveau – und das Ende seiner Entwicklung scheint noch nicht erreicht.

Natürlich bleibt im Falle des Genies immer fraglich, inwieweit es theoriefähig ist und also Schlussfolgerungen zulässt, die auch für andere Individuen oder gar eine ganze Generation Verbindlichkeit beanspruchen dürfen. Aber Ronaldinhos Vorstoß in die Spitze ist aus spielsystematischer Sicht ein äußerst bemerkenswertes und hoffentlich wegweisendes Ereignis. Schließlich galt die Figur des mit allen Freiheiten versehenen, eigensinnig rochierenden Spielgestalters hinter den Spitzen unter Experten als ein Relikt des 20. Jahrhunderts. Ronaldinho aber erfüllt diese sicher totgeglaubte und sehnsuchtsvoll vermisste Rolle derzeit mit neuem Leben.

Die Bedeutung der Ronaldinho-Revolution für den Weltfußball lässt sich vielleicht am besten ermessen, wenn man seine vier Entwicklungsjahre in Diensten des FC Barcelona mit dem zeitgleichen kontinuierlichen Niedergang des Erzrivalen Real Madrid ins Verhältnis setzt – besonders dem seiner Hauptakteure Beckham, Zidane und Ronaldo.

Ronaldinho empfängt das Zuspiel meist auf der beckhamschen Außenposition, schwänzelt darauf in die zentrale Gestaltungszone Zidanes und entwickelt von dort aus eine Explosivität und Kreativität im Abschluss, wie sie nur Ronaldo in den selten guten Momenten seiner Karriere auszeichnete. Diese atemberaubende Vielseitigkeit ermöglicht es dem absolut offensiven FC Barcelona, mit nur einem Stürmer zu agieren, wodurch Ronaldinho die nötige räumliche Freiheit zur Ausübung seiner Kunst gewährt wird. In Madrids Offensivabteilung hingegen steht man sich nun schon seit Jahren überdrüssig und erschöpft auf den Füßen herum.

Die Ronaldinho-Revolution allein auf eine Ballbehandlung nahe der Vollkommenheit sowie den Drang, mit jedem Dribbling die Gesetze der Trägheit aufs Neue herausfordern, zurückzuführen – dies hieße, die Bedeutung des Offensichtlichsten zu übersehen, nämlich Ronaldinhos utopisch befreite Einstellung zum Spiel, die sich in nichts überzeugender zeigt als in seinem Lachen. Es gibt keinen Profi, der auf dem Platz mehr und aufrichtiger lacht als Ronaldinho. Er lacht, wenn er das Feld betritt und wenn er es verlässt, lacht nach der absurdesten Fehlentscheidung des Schiedsrichters, nach dem fiesesten Tritt in seine Wade, besonders schön aber lacht er nach einer von ihm übermütig vergebenen Großchance.

Es ist trotz dentaler Deformation ein unmittelbar mitreißendes, ein buchstäblich gewinnendes Lachen. Keine aufgesetzte Souveränitätsgeste, kein oberflächlicher Schutz, dies Lachen droht nicht und ist auch nicht Ausdruck eines kindischen Verständnisdefizits. Im Gegenteil. Nach einer vergebenen Tormöglichkeit vor den Augen der Welt zu lachen wie Ronaldinho – also in vollem Bewusstsein um den potenziellen ökonomischen Millionenschaden und auch das drohende millionenfache Fanleid –, bedeutet eine wegweisende Verhöhnung des Erwartungsgestells, das den Fußball derzeit bestimmt und beengt. Ronaldinhos Lachen bedeutet die Befreiung des Spiels selbst. Indem es seinen falschen Ernst sichtbar entlarvt, gibt es ihm seine natürliche Heiligkeit zurück. So beschrieben wäre Ronaldinhos Lachen nicht etwa ein Ergebnis oder Symptom seines revolutionären Erfolgszuges, sondern vielmehr die bedingende Basis.

Vergleicht man Ronaldinhos befreites Lachen übrigens mit der aufgesetzten Fröhlichkeitsmaske eines Jürgen Klinsmann, dem stets defensiven Lächeln eines Michael Ballack oder gar dem künstlichen Strahlen der Neon-Gesichter, die der nahenden WM als Logo ihr Antlitz geben sollen, lässt sich daraus für die nächsten Monate nur eine bittere Prognose ableiten: Über Ronaldinhos Teams wird in diesem Sommer die Sonne lachen, über Deutschland aber die ganze Welt.

Zur Startseite