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Sport: Das Mangeljahr

Nach den deutschen Meisterschaften erwarten die Schwimmer bei der WM kaum Erfolge

Berlin - Es ist ein bisschen kompliziert mit den Pflastern auf der rechten Schulter von Jana Henke. Das rote soll Wärme geben, das blaue Energie aus dem Körper abziehen. Irgendwie macht das alles bestimmt alles Sinn bei einer Schulterverletzung. „Aber im Rennen kommt sowieso so viel Adrenalin, dass man die Schmerzen nicht spürt“, sagt Henke. Sie gewann gestern jedenfalls klar die 1500 m Freistil bei den deutschen Schwimm-Meisterschaften (16:22,77 Minuten) in Berlin. Sie unterbot die WM-Norm, sie hat sich damit offiziell für die WM in Montreal nominiert. Bei ihrem Sieg über 800 m war sie zuvor an der Norm vorbei geschrammt. 24 Stunden früher hatte die Schulter so stark geschmerzt, dass sie am liebsten alles abgesagt hätte. Doch die Potsdamerin wäre auf jeden Fall nach Kanada geflogen, Ralf Beckmann hat ihr das vor den 1500 Metern gesagt. „Ihr Start liegt im Interesse des Verbands“, verkündete der Chef-Bundestrainer.

31 Mitglieder umfasst das deutsche WM-Team, fast ein Drittel davon startet nur, weil es im „Interesse des Verbands ist“. International starke Zeiten waren eher die Ausnahme in Berlin. Ein tiefgreifendes Problem ist das nicht. In einem nacholympischen Jahr konzentrieren sich immer Spitzenleute aufs Studium, zudem gibt es genügend Talente. Nur fehlt Leuten wie dem 20-jährigen Marco di Carli (zwei Titel) oder dem 21-jährigen Helge Meeuw (drei) noch die internationale Spitzenklasse. Klar ist aber auch: Die Lücke, die Franziska van Almsick gerissen hat, ist wohl lange nicht zu füllen. Bei der WM haben deshalb vor allem die Staffeln Medaillenchancen. Den Weltrekord von Janine Pietsch über 50 m Rücken sollte man nicht überbewerten. 50-Meter-Rennen sind immer auch Lotteriespiele. Ein schlechter Start, und alle Medaillenhoffnungen sind zerstört.

Bedeutsamer für das deutsche Schwimmen sind die Strategieänderungen, die Beckmann nach den Olympischen Spielen 2004 angestoßen hat. Ein paar alte Denkmodelle ausmustern, mehr Druck auf die Sportler, mehr Wettkampfhärte, das ist Beckmanns Leitlinie. Vorerst reicht die bis Olympia 2008. Qualifikations-Wettkämpfe für den Saisonhöhepunkt finden ab 2006 im Frühjahr statt, die deutsche Meisterschaft wird zum Härtestet vor einer EM, WM oder vor Olympischen Spielen umgewandelt. Die lange Sommerpause, die viele Athleten ohne internationalen Einsatz bisher genießen, wird er durch eine neue Sommer-Meisterschaft beenden, und ein modifiziertes Wettkampfprogramm bei nationalen Meisterschaften zwingt die Athleten vormittags zu noch mehr Spitzenleistungen als bisher. Bei einer EM, WM oder bei Olympischen Spielen sind die Vorläufe am Vormittag knüppelhart. Zudem sollen die nationalen Größen erheblich mehr Rennen bestreiten als bisher. Viele Top-Schwimmer weichen abseits der Meisterschaften gerne harten Duellen mit ausländischen Stars aus. Beckmann wird auch über neue Trainingsformen reden. Er möchte die Kilometerfresserei reduzieren, dafür aber die Regeneration aufwerten. „Sicher hätte ich das alles früher angehen können“, sagt Beckmann, „aber da musste man erst Überzeugungsarbeit bei anderen leisten.“

Aber ein paar traditionelle Probleme in einem nacholympischen Jahr kann auch Beckmann nicht lösen. Vipa Bernhardt etwa kann erst zwei Tage vor ihrem Staffel-Einsatz nach Kanada reisen. Sie konzentriert sich auf ihr Studium, und in der WM-Woche hat sie Termine, die sie nicht verschieben kann: zwei Prüfungen.

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