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Thomas Hitzlsperger hat als erster Fußball-Nationalspieler offen über seine Homosexualität gesprochen. Hier im Trikot des VfB Stuttgart, den er 2007 zur Deutschen Meisterschaft führte.

© Reuters

Das Outing des Ex-Nationalspielers Thomas Hitzlsperger: "Homosexualität wird im Fußball schlicht ignoriert"

Ein Idol, eine Legende ist er nie gewesen. Und doch könnte Thomas Hitzlsperger nun eine Ikone werden. Er ist der erste deutsche Fußball-Nationalspieler, der offen über seine Homosexualität spricht. Das ist eine Sensation in einer Sportart, in der Homophobie zum Alltag gehört.

Thomas Hitzlsperger steht 25 Meter vor dem gegnerischen Strafraum, mittig, von rechts schießt sein Stuttgarter Mitspieler Pável Pardo die Ecke in der 27. Minute nicht direkt vor das Tor, sondern auf „Hitz the Hammer“, wie die Fans von Aston Villa den Deutschen getauft haben, als er noch für sie spielte. Hitzlsperger trifft den Ball nicht einmal perfekt, sondern leicht verdreht mit der Außenseite seines Spanns, aber noch immer gut genug, dass er im hohen Bogen in Richtung Tor fliegt. Und sich über den vergeblich hechtenden Torwart ins Netz senkt.

Es ist das 1:1 gegen Energie Cottbus, 63 Spielminuten später wird der VfB Stuttgart nach dem 2:1-Sieg Deutscher Meister der Saison 2006/2007 sein. Es ist ein Titel, an dem der Fußballer Thomas Hitzlsperger großen Anteil hat. Aber an jenen Frühsommer 2007, an seinen mächtigen Linksschuss, der zu seiner Marke wurde, und vor allem an den Fußballprofi Hitzlsperger, Vize-Europameister 2008, mit 18 vom FC Bayern nach England gegangen, erinnern sich nur noch sehr wenige. Ein Fußball-Idol, eine Legende, ist er nicht geworden. Und doch hat Thomas Hitzlsperger nun die Chance, zu einer Ikone zu werden. Er wird, wenn man so will, noch einen ganz besonderen Titel tragen: der erste Fußball-Nationalspieler Deutschlands, der öffentlich über seine Homosexualität spricht.

Der Zeitpunkt seines Outings ist nicht schlecht gewählt. In wenigen Wochen finden in Sotschi die Olympischen Winterspiele statt, und im Vorfeld wurde ausgiebig über die Homophobie in Russland diskutiert. Es gibt mittlerweile einige Sportler, die öffentlich über ihre Sexualität reden – aber noch immer ist das die Ausnahme.

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Vor allem gibt es keine prominenten Sportler, Spitzenathleten, die sich noch in ihrer aktiven Zeit outen, weder im Fußball, noch in anderen Sportarten. Auch Thomas Hitzlsperger hat bis nach seiner Karriere gewartet, seine Begründung: „Wer ein Gefühl für die Stimmung in einer Mannschaft hat, der weiß einfach, was angesagt ist. Der Gruppenzwang kann enorm sein.“

Ein Signal des Mutes

Hitzlsperger ist kein aktiver Sportler mehr, deshalb ist es offen, was er mit seinem Schritt wirklich bewirken kann. Aber das enorm positive Echo von allen Seiten, aus Politik, Wirtschaft, Sport, das direkt nach Bekanntwerden seines Outings in die Öffentlichkeit drang, ist allein schon Signal: ein Signal des Mutes.
Lukas Podolski, ehemaliger Kollege in der Nationalmannschaft, twitterte „eine „richtige Entscheidung“, Arne Friedrichs Tweet lautete: „Bin stolz auf dich.“ Bundestrainer Joachim Löw forderte Respekt: „Thomas hat für sich persönlich entschieden, diesen Schritt zu gehen, und er sollte in einer toleranten Gesellschaft von allen respektiert werden.“ Regierungssprecher Steffen Seibert sagte: „Wir leben in einem Land, in dem niemand Angst haben sollte, seine Sexualität zu bekennen nur aus Angst vor Intoleranz.“

Der ehemalige Nationalspieler hat sich seit langem zwei Journalisten der Wochenzeitung „Die Zeit“ anvertraut, für die er auch schreibt. Nun sagte er im Interview: „Ich äußere mich zu meiner Homosexualität, weil ich die Diskussion über Homosexualität unter Profisportlern voranbringen möchte.“ Er habe das Gefühl, dass jetzt, nach dem Ende seiner Karriere, ein guter Moment gekommen sei.

Dieser Satz sagt viel darüber aus, warum der Moment in der Profizeit nicht gekommen ist, es hätte nicht gepasst. Und warum es nicht gepasst hätte, darüber gibt es von einigen prominenten Spielern eindeutige Aussagen. Bayern-Star Philipp Lahm sagte in einem Interview mit dem Schwulen-Magazin „Front“ auf die Frage, warum bisher kein homosexueller Spieler den Mut gefunden habe, sich zu äußern: „Vielleicht gibt es ja keinen, und wenn doch, dann fürchtet er wohl die Konsequenzen. Fußball ist eben archaisch.“ In einem anderen Gespräch sagte Lahm: „Für denjenigen, der es tut, würde es sehr schwer werden. Wir stehen jedes Wochenende in den Stadien unter Druck.“

Und der Präsident der Deutschen Fußball-Liga, Reinhard Rauball, warnte im letzten Sommer indirekt davor, diesen Schritt zu tun – „so weit ist der Fußball nicht“.

Wie weit ist der Fußball?

Der Weg, den er gehen will. Thomas Hitzlsperger im Trikot der deutschen Nationalmannschaft.
Der Weg, den er gehen will. Thomas Hitzlsperger im Trikot der deutschen Nationalmannschaft.

© dpa

Entscheidet das jeder homosexuelle Spieler selbst, oder ist die „Struktur“ entscheidend, die ein Outing als unmöglich erscheinen lässt?

Der Spieler Hitzlsperger hat, das sagen Vertraute aus dem Umfeld der Nationalmannschaft, sich immer frei bewegt und war in der Lage, das Thema, das nicht sein durfte, auch nicht zum Thema werden zu lassen. Er habe „sein Leben, seine Freizeit genießen können“. Aber jetzt, wo er seit vier Monaten aus der Profi-Mühle heraus sei, wolle er endlich ein „Leben ohne Einschränkungen“. Auch das sei ein wichtiger Grund für diesen Schritt. Sein neues Leben.

Es gab immer wieder Gerüchte

Es gab immer wieder Gerüchte über schwule Spieler in der Nationalmannschaft, es gab sogar eine ganze Tatort-Folge, in der Schwulsein im Profifußball thematisiert und danach bei Günther Jauch diskutiert wurde. Die Neugierde der Öffentlichkeit, der Voyeurismus, möglichst viel Privates von Prominenten erfahren zu wollen, der Sensationstrieb mancher Medien sind Gründe dafür, dass das Thema überhaupt von solch großem Interesse ist. Die andere Wahrheit lautet: Homophobie ist im Männersport Fußball noch immer so verbreitet wie Rassismus.

Dass Hitzlsperger nun der erste bekannte Profi sein wird, der sich zu diesem Schritt entschließt, ist eine lange Geschichte. Es ist ein Prozess, eine in weiten Teilen sehr private und intime Selbsterkenntnis. Hitzlsperger selbst sagt, dass ihm erst vor einigen Jahren wirklich klar geworden sei, dass er schwul sei. Und das habe auch einen Grund: „Homosexualität wird im Fußball schlicht ignoriert.“

Hitzlsperger: „Homosexualität wurde als etwas Widernatürliches, gar Verbrecherisches behandelt“

Hitzlspergers Geschichte des Bekenntnisses zu sich selbst ist nicht ungewöhnlich. Viele Männer brauchen Jahre, um vor sich selbst einzugestehen, dass ihre sexuelle Orientierung so ist, wie sie ist. Allerdings kann man sich vorstellen, dass diese Erkenntnis für einen Leistungssportler die Sache nicht leichter macht.

Hitzlsperger, das siebte Kind des Landwirts Ludwig Hitzlsperger, geboren in München, wächst in einer kleinen bayerischen Gemeinde auf, natürlich katholisch geprägt. Er sagt: „Homosexualität wurde als etwas Widernatürliches, gar Verbrecherisches behandelt. Das war mir egal, ich konnte mir nicht vorstellen, dass dies mal für mich ein Thema werden würde.“

Er ist 18 Jahre, als er mit seiner damaligen Freundin Inga Totzauer nach England geht. Erst im Juni 2007, einen Monat vor der geplanten Hochzeit, trennen sich die beiden. Einen Tag nach der Trennung spielt Hitzlsperger im EM-Qualifikationsspiel gegen die Slowakei und erzielt das Siegtor.

Man darf vermuten, dass Hitzlsperger in dieser Zeit, das deckt sich mit seinen Aussagen, sehr intensiv mit sich und seiner Sexualität beschäftigt war. Der Leistungssport war in diesen Jahren des Findens nicht unbedingt nur eine zusätzliche Belastung, er machte Hitzlsperger zumindest für eine kurze Zeit auch frei – weil er sich auf das konzentrieren musste, was er am liebsten machte: Fußballspielen.

Seine Art, Fußball zu spielen, passt im Prinzip zu seinem Gesamtcharakter. Nur der harte Schuss, dieser „Hitz the Hammer“, war deshalb in gewisser Weise paradox. Denn der Mensch Hitzlsperger ist bescheiden, höflich, zurückhaltend – wenn auch extrem ehrgeizig und lernwillig. Nicht umsonst bekam er vom „Spiegel“ das Label „Lernfußballer“ verpasst.

„Der moderne Fußball ist kein Lebensraum für Gestrige“

Hitzlsperger war ein guter, zentraler Mittelfeldspieler. Er konnte ordentlich passen, hatte eine passable Technik, und er war robust und kräftig, aber mit der rasanten Veränderung zu einem immer schnelleren Spiel wurden auch seine Schwächen sichtbar: Für die Außenbahn war er nicht schnell genug, auch in der Mitte machte er das Spiel manchmal zu langsam.

Dennoch schätzte Löw Hitzlsperger, weil er zu tun pflegte, was man von ihm verlangte. Und er war ein taktisch kluger Spieler, was aus Löws Sicht vor allem für ihn sprach.

Auch jetzt wird es Hitzlsperger aus eigenem Antrieb klug machen wollen. Das Thema, sein Outing, beschäftigt ihn intensiv und lange. Im September 2012 sagte er ebenfalls in einem Interview mit der „Zeit“ zu seinem Fragesteller: „Wenn ein Spieler mit der Bitte auf Sie zuginge, ihn zu outen, würden Sie ablehnen? Das wäre doch eine Sensation.“

Dann sinniert er über mögliche Folgen: „Es kommt vielleicht auch darauf an, wer sich outet und in welcher Form. Jedenfalls wäre der sportliche Worst Case möglich: das Karriereende. Darauf müsste ein offen schwuler Fußballer vorbereitet sein.“ Schließlich kommt er zu dem Schluss: „Andererseits könnte er auch zum großen Vorbild für schwule Sportler werden und auch für andere, die sich noch nicht getraut haben, offen mit ihrer Homosexualität umzugehen.“

In diese Rolle des Vorbilds hat sich Hitzlsperger nun selbst begeben, energisch und zielgerichtet wie auf dem Spielfeld. Er klagt im aktuellen Interview übrigens niemals darüber, dass das Thema Homosexualität seine Karriere beeinflusst habe. Am Ende macht er auf etwas aufmerksam, das vielleicht viele unterschätzen. Dass nämlich Reinhard Rauball falsch liegt, dass der Fußball viel weiter sein könnte als angenommen. „Der moderne Fußball ist kein Lebensraum für Gestrige und Leute mit angestaubten Vorurteilen. Das macht Mut für die Jungen, die jetzt vor dem Schritt in den Profisport stehen.“

Mitarbeit: Sven Goldmann, Michael Rosentritt

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