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Sport: Das Projekt wird zum Prinzip

Joachim Löw führt das fort, was er neben Klinsmann entwickelt hat

Immer wieder wurde Jürgen Klinsmann hochgehoben. Zwei kräftige Männerhände hatten ihn auf Höhe der Hüften gepackt und ohne Unterlass Richtung Stadiondach gestemmt. Bisweilen wurde er von seinem Hintermann ekstatisch wie ein Cocktail geschüttelt. Die Stimmung in der Gelsenkirchener Arena Auf Schalke erreichte zwischenzeitlich weltmeisterliche Raserei. „Wir haben versucht, den Schwung und den Elan aus der Weltmeisterschaft mitzunehmen“, sagte Joachim Löw hinterher. Die deutsche Nationalmannschaft hatte Schweden vor 53 000 Zuschauern locker und leicht mit 3:0 geschlagen. Der Sieg fiel ein Tor höher aus als noch vor sieben Wochen im WM-Achtelfinale. Jürgen Klinsmann schien sehr zufrieden mit der Leistung jener Mannschaft, die er vor 40 Tagen auf Platz drei der WM geführt hatte. Er lächelte und lächelte und lächelte. Doch dieses Mal flipperte er nicht adrenalingeschwängert an der Seitenlinie umher, sondern hatte seinen Platz im Rang. Ein Stadionbesucher hatte einen lebensgroßen Klinsmann aus Pappmaché ins Stadion geschleppt. Der echte Jürgen Klinsmann war in Kalifornien.

Das Länderspiel eins nach Jürgen Klinsmann lief ganz im Sinne des ehemaligen Bundestrainers. „In der ersten Halbzeit haben wir mit viel Freude und Mut nach vorn gespielt, der Ball ist gut gelaufen, und die beiden frühen Tore haben uns den Start erleichtert“, sagte Löw. Der ehemalige Assistent Klinsmanns feierte einen gelungenen Einstand als Bundestrainer. „Das Thema Jürgen Klinsmann ist jetzt abgeschlossen“, sagte er und wirkte leicht genervt. Jeder wollte von ihm wissen, wie es sich denn so ohne Klinsmann anfühle, was er anders mache, ob er nervös gewesen sei, so alleine in der ersten Reihe? Irgendwann sagte Löw: „Ich war nicht nervös, ich hatte ein gutes Gefühl für dieses Spiel, für mich war das heute nichts Besonderes.“

Joachim Löw hatte ein paar Tage Zeit, sich auf seine neue Frontstellung vorzubereiten. Die inhaltliche Arbeit mit der Mannschaft hatte er ohnehin schon gemacht, Klinsmann war ja mehr der Mann fürs Übersinnliche. Warum also sollte sich der Spielstil der deutschen Mannschaft ändern, warum sollte Personal gewechselt, warum sollte nicht das weitergeführt werden, was Löw an der Seite Klinsmanns entwickelt hat? „Wir werden den eingeschlagenen Weg mit aller Konsequenz fortsetzen. Dazu brauchen wir Mut, Offenheit und Radikalität“, hatte Löw gesagt. Die WM hat der Mannschaft ein Gefühl der Stärke verliehen. Und so wird das Projekt 2006 nun zum Prinzip.

Das Spiel gegen Schweden wirkte daher auch wie eine Kopie des WM-Achtelfinalspiels. Wie im Juni war die deutsche Elf schnell mit zwei Toren in Führung gegangen. Diesmal trafen Schneider und Klose. Kurz vor der Halbzeit erhöhte Klose auf 3:0. Das Spiel war früh entschieden, die Stimmung im Stadion bestens. Kurz, es sah aus und hörte sich an wie Deutschland im WM-Rausch.

Noch einmal durften alle ran, von Nowotny bis Odonkor. Wie der Kader aussehen wird, wenn es in der EM-Qualifikation wieder um etwas geht, bleibt abzuwarten. Die Schweden, die mit einer B-Elf angetreten waren, waren von einem Torerfolg ihrerseits in etwa so weit entfernt wie Kalifornien von Gelsenkirchen. Und so entwickelte sich ein nachweltmeisterlicher Sommerkick, der bestenfalls den Charakter eines der sportlich belanglosen Benefizspiele hatte, etwa wie eins zum 100-jährigen Bestehen des liechtensteinischen Fußball-Verbandes.

Obgleich Jürgen Klinsmann nicht mehr für die Geschicke der Nationalelf zuständig ist, so lebt sein Wirken in ihr fort. Das, was sich die Mannschaft in der WM-Vorbereitung und während des Turniers erarbeitete, haben die Spieler verinnerlicht. Auch ohne ihren verletzten Kapitän Ballack und der WM-erprobten Innenverteidigung Mertesacker/Metzelder spielte die Mannschaft offensiv, aggressiv und teilweise recht ansehnlich. Im Vorfeld des Spiels hatte Löw kein Wort über den Gegner verloren. „Ich möchte keinen Satz über Schweden verlieren“, hatte Löw in der Mannschaftssitzung gesagt, „wenn wir das tun, was wir wollen, sind wir stark genug.“

Die deutsche Elf spielte mutig nach vorn, „wie der Jürgen es verlangt hat“, sagte der zweifache Torschütze Klose. Einen Unterschied zu Klinsmann hat der Bremer ausgemacht – in der Ansprache vor dem Spiel. „Der Joachim macht das gut, vielleicht nicht mit dem Elan wie der Jürgen, aber es ist ja auch keine WM.“

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