zum Hauptinhalt

Sport: Das Recht der letzten Nacht

Von Martin Hägele Tokio. In der japanischen Sportbar „Footnick“ in Ebisu haben sich an diesem Abend die japanischen Fans mit den Fußballfreunden aus Deutschland vereint.

Von Martin Hägele

Tokio. In der japanischen Sportbar „Footnick“ in Ebisu haben sich an diesem Abend die japanischen Fans mit den Fußballfreunden aus Deutschland vereint. Nachdem Michael Ballack den Ball im Nachsetzen ins koreanische Netz geschossen hatte, jubelten lediglich die südkoreanischen Anhänger nicht. Japan und Deutschland haben gewonnen, und das, obwohl kein einziger Deutscher am Abend des Halbfinales ein Bier in diesem Laden bestellt hat.

Die Deutschen sind auf dem Inselreich traditionell gern gesehen. Wohl noch nie im Verlauf der wirtschaftlichen und kulturellen Beziehungen war Nippon den alten Freunden so dankbar wie in jener Nacht, da Kahn und Ballack ihre Reise zum Finale nach Yokohama sicherstellten. Es wäre ja sonst zu einer Invasion südkoreanischer Fans nach Japan gekommen. Eine solche koreanische Party hätte die übers Turnier hinweg sorgfältig gepflegte Harmonie der Organisations-Partner beider Länder stark strapaziert.

Über die große Erleichterung des japanischen Fußballherzens und seine Anhänglichkeit den Gaijins aus „Deutska“ gegenüber steht nichts in den Zeitungen. Kein böses Wort an die Adresse des Mitveranstalters, über Südkorea darf nichts Negatives geschrieben oder gar offiziell gesagt werden. Seit die Fifa vor sechs Jahren diese Hochzeit für eine WM angeordnet hatte, haben die Zwangsvermählten zwar um das Recht der ersten und letzten Nacht für Eröffnungs- und Endspiel gestritten. Oder darüber, welcher Länder zuerst auf den Eintrittskarten stehen durfte.

Doch nachdem diese Entscheidungen dann in Zürich getroffen worden waren, hat sich der japanische Teil des Organisationskomitees zurückgehalten; auch wenn es manchmal so schien, als ob diese erste WM in Asien ganz allein Dr. Mong-Jong Chung, dem Juniorchef von Südkoreas bekanntestem Industrie-Imperium Hyundai gehöre. Es bleibt abzuwarten, in welcher Weise der Fifa-Vizepräsident den sportlichen Triumphzug der Südkoreaner zur persönlichen Propaganda nutzt, wenn er einst als Präsident eines vereinigten Korea kandidieren will. Dies ist sein Lebensplan, und dabei hat ihm der Fußball stets geholfen.

Unter jenem „Mister Korea“ haben die Japaner besonders gelitten; trotz all der gemeinsam inszenierten Auftritte rund um die WM. Denn immer wieder mal hat Chung die Kollegen aus Japan geärgert. In der historisch belasteten Vergangenheit beider Länder spielen die Japaner als ehemalige Besatzer die Rolle des Bösen. Bis heute wehren sie sich, ihre Kriegsverbrechen anzuerkennen. Der schlechte Ruf und manchmal auch ihr schlechtes Gewissen verhindern, dass die Japaner – egal, in welchem Wettbewerb – mit der ehemaligen Kolonie offen, geschweige denn offensiv umgehen können. Chung hat dieses Handicap des großen Nachbarn schon immer bewusst genutzt. Vielleicht wären der südkoreanische Verband und dessen junger Vorsitzender vor neun Jahren auch gar nicht auf die Idee gekommen, eine WM auszurichten, wenn nicht der Lieblingsgegner zu diesem Kampf gereizt hätte.

Die Angst der Japaner, ausgerechnet diesen alerten Sportpolitiker, der sie so oft gekränkt hat, am Sonntag auf der Ehrentribüne neben der kaiserlichen Loge des Yokohama-Stadions zu sehen, ist nun verflogen. Allerdings: Während dieser WM haben sich die Fußball-Anhänger beider Nationen auch angenähert. Den Hass tragen vor allem die Großväter und Väter aus; die jüngeren Leute gehen unbefangener miteinander um – 750 000 Koreaner arbeiten in Osaka, Sapporo, Tokio und Kyoto.

Vor dem Halbfinale zeigten junge Japaner deutschen Reportern den Weg ins koreanische Viertel Shin-Okubo am Rande des Rotlichtbezirks Kabuki-Cho; auch diese Tokioter Jugendlichen wollten in koreanischen Kneipen fernsehen. Den deutschen Besuchern machten die rot gekleideten Koreaner Platz, sie rückten eng zusammen. Natürlich spielten die Koreaner bei jedem Angriff ihrer neuen Idole vor dem Fernseher mit, doch ihre Gastfreundschaft hörte auch mit der sportlichen Niederlage nicht auf. Nach dem Schlusspfiff gratulierte jeder im Lokal den deutschen Gästen. Die wurden erst entlassen, nachdem sie Kimchi und Sotcho gegessen und getrunken hatten, das eingelegte Knoblauchkraut und den landesüblichen Schnaps. Doch weitaus auffälliger als diese Gesten waren die Chöre, die sie immer wieder zwischen den dominierenden Anfeuerungsruf „Dae-ha-min-guk“ (Republik Korea) anstimmten: „Nippon-Korea-Nippon-Korea".

Vielleicht kann Fußball doch viel mehr zur Völkerverständigung beitragen, als man zu hoffen wagt.

NAME

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false