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Sport: Das Rennen gegen sich selbst

Franziska van Almsick fehlt nur eines in ihrer Karriere: Olympiagold – in Athen will sie es gewinnen

Am 13. August beginnen die Olympischen Spiele in Athen. Bis dahin stellt der Tagesspiegel deutsche Sportler vor, die besondere Aufmerksamkeit verdienen. Heute: Franziska van Almsick.

Franziska van Almsick hat sich gerade selber zugehört, deshalb muss sie jetzt kurz lachen. „Ich möchte intensiv Sprachen lernen“, hat sie gerade gesagt. Sie hat ganz ernsthaft dabei geblickt, als wäre das für sie im Moment ziemlich wichtig. Aber dann wurde ihr bewusst, dass sie wieder einen Spruch gemacht hat. „Das will ich ja seit drei, vier Jahren, ich schaffe es ja doch nie.“ Franziska van Almsick wollte schon viel in ihrem Leben. Sie hat eine Idee, begeistert sich dafür, dann ist das Ganze wieder vergessen. Sie wollte mal mithelfen, Schmuck zu entwerfen, längst eingeschlafen das Projekt.

Den Satz mit den Sprachen hat sie im Frühjahr gesagt, er konnte nicht ernst gemeint sein, Franziska van Almsick hat seit langem nur einen Plan, den sie intensiv verfolgt: Sie will olympisches Gold. Sie will in Athen das Rennen über 200 Meter Freistil gewinnen. Es ist ihre Strecke. Hier hält sie den Weltrekord, hier wurde sie 1994 Weltmeisterin. Auf dieser Strecke hat sie alles gewonnen, was es zu gewinnen gab – nur nicht Olympiagold. Auf dieses Ziel hat sie sich auch in der Sierra Nevada vorbereitet, im Höhentrainingslager, eine elende Schinderei, drei, vier Trainingseinheiten am Tag.

Sie kennt dieses Datum: 17. August, 19.12 Uhr. Das Finale in Athen über 200 Meter Freistil. Sie wird ja immer wieder darauf angesprochen. Wie fühlen Sie sich beim Gedanken an dieses Datum? Sind Sie schon aufgeregt? Was passiert, wenn Sie nicht Gold holen? Solche Fragen kommen. Denn die Öffentlichkeit hat seit Jahren Franziska van Almsick vereinnahmt. Millionen werden auf ihr Rennen starren. Millionen werden um 19.14 Uhr aufstöhnen und sagen, dass sie doch viel früher hätte aufhören sollen, oder sie werden aufspringen und jubeln und diese schlanke, attraktive Athletin im Geiste umarmen. Franziska van Almsick, das ist keine Sportlerin, das ist eine Übergröße, an der sich jeder gerne abarbeitet.

Aber Franziska van Almsick hat sich schon länger dieser Öffentlichkeit entzogen, innerlich, so intensiv wie das noch nie zu spüren war. 17. August, 19.12 Uhr – das ist allein ihr Rennen. Sie ist auf ihrer letzten, ihrer größten Mission. In diesen zwei Minuten schwimmt sie nur für sich. Es wird ihr größter Sieg oder ihre bitterste Niederlage, das sagt sie ziemlich energisch. Die Öffentlichkeit hat kein Recht auf Erklärungen oder Entschuldigungen. „Ich muss mich gegenüber niemandem mehr rechtfertigen.“

Ihre letzte große Antwort an die Öffentlichkeit war der Weltrekord 2002. 1:56,64 Sekunden über 200 Meter Freistil, bei der EM 2002 in Berlin. In ihrer Heimatstadt, vor ihrer Familie, vor ihren Freunden, vor euphorischen Fans. Als sie in die Kabine wollte, brach sie hinter den Startblöcken weinend zusammen. „Sie hat Monate gebraucht, um dieses Erlebnis zu verarbeiten“, sagt Ralf Beckmann, der Chef-Bundestrainer. Bei der EM gewann sie insgesamt fünf Titel.

Seither sagt Franziska van Almsick mit einer Härte, die man nicht kannte, „dass die Öffentlichkeit nichts mehr von mir verlangen darf“. Jahrelang hat sie darunter gelitten, unter diesem Druck, den sie durch ihre eigenen hohen Ansprüche potenzierte. Als sie bei den Olympischen Spielen in Sydney im Halbfinale scheiterte, sich mühsam aus dem Becken zog und von einer Boulevardzeitung als „Franzi van Speck“ verhöhnt wurde, da hatte sie „wirklich das Gefühl, ein schlechter Mensch zu sein“. Der Spott über ihr angebliches Übergewicht traf ja nicht bloß die Sportlerin van Almsick. Es traf vor allem die Frau van Almsick. „Da stehst du dann vor dem Spiegel und schaust, ob du wirklich eine so fette Sau bist“, hat sie nach Sydney gesagt.

Damals hatte sie das Gefühl, sich wie ein Hamster im Rad zu drehen. Sie schwamm Weltrekord, sie holte zwei olympische Silbermedaillen über 200 m Freistil und sechs weitere olympische Medaillen, sie gewann zwei WM-Titel und 13 EM-Titel, aber sie spürte nie so viel Respekt, dass man ihr Niederlagen zugestand. Van Almsick ist bis zum heutigen Tag in ihrem Kern eine ganz normale Frau geblieben, sie hat sich diese Schutzhülle zugelegt, die eine echte Medienfigur umgibt, und an der harte Angriffe abprallen. Bei van Almsick trifft alles feine Nerven. Deshalb hörte sie nach Sydney nicht auf. Sie wollte es bei der EM 2002 allen zeigen. Sie wollte aber auch sich beweisen, dass sie immer noch eine exzellente Schwimmerin ist.

Wenn sie am 17. August kein Gold holt, wird sie wohl in einem stillen Raum Tränen weinen, weit weg von Journalisten. Denn auf den Anblick dieser Tränen, so sieht sie es, hat die Öffentlichkeit nun kein Anrecht mehr.

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