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Sport: Das sächsische Geheimnis

Von Richard Leipold Dortmund. Als die Aufbauarbeiten am Podest vor der Haupttribüne des Westfalenstadions vor dem Abschluss stehen, hält Gerd Müller, einst als „Bomber der Nation“ gerühmt, die Meisterschale schon bereit.

Von Richard Leipold

Dortmund. Als die Aufbauarbeiten am Podest vor der Haupttribüne des Westfalenstadions vor dem Abschluss stehen, hält Gerd Müller, einst als „Bomber der Nation“ gerühmt, die Meisterschale schon bereit. In wenigen Augenblicken kann die Zeremonie beginnen. Aber wo ist Matthias Sammer, der Meistertrainer? Sammer ist vor der Meute der Gratulanten, Schulterklopfer und Medienschaffenden in die Katakomben geflüchtet. Draußen auf der Bühne werden schon die n der Spieler aufgerufen. Wo bleibt Sammer nur?

Der jüngste Meistermacher der Bundesliga ordnet seine Gefühle. Er sei ein wenig ängstlich, sagt der 34-Jährige. „Wenn so viele Menschen auf mich zukommen, verdrücke ich mich lieber erst mal.“ Die Auszeit hat ihm gut getan. Konfrontiert mit den Bildern aus Leverkusen, begegnet er dem Geschehen philosophisch. „Schönheit und Gerechtigkeit sind im Fußball immer relativ.“ Sammer gibt nicht den Triumphator, sondern geriert sich wie ein Staatsmann des Fußballs. Der zeternde Trainerkollege Toppmöller und der weinende Manager Calmund führen ihm vor Augen, wie hart das Geschäft sein kann.

Wenige Minuten nach dem Gewinn der Meisterschaft wecken Sammers Worte eine eigentümliche Assoziation. Mit den Meisterschaften scheint es sich so zu verhalten wie mit den Millionen: die erste ist immer die schwerste – oder wenigstens die wertvollste. Für Sammer jedenfalls ist „der erste Titel immer der wichtigste". So habe er es als Spieler empfunden, als er mit der U-18-Auswahl der DDR die Europameisterschaft gewonnen habe, und so empfinde er es nun wieder. „Nach dem ersten Titel weißt du, dass du etwas erreichen kannst.“

Ob als Spieler oder als Trainer: Sammer ist in seiner Karriere stets früh dran gewesen. Seit seinem fünften Lebensjahr spielt der Sohn des Fußball-Lehrers Klaus Sammer in der Jugend von Dynamo Dresden, zwei Wochen vor seinem 18. Geburtstag debütiert er in der ersten Mannschaft, ein Jahr später in der DDR-Auswahl. Mit Borussia Dortmund gewinnt er als jüngster Bundesligatrainer überhaupt und als erster aus Ostdeutschland die deutsche Meisterschaft. Der frühere Nationalspieler Ulf Kirsten sieht Sammer schon als den „idealen Bundestrainer, falls Rudi Völler nach der Weltmeisterschaft 2006 nicht weitermachen sollte".

Der erste Titel kam für den Trainer Sammer früher als erwartet. Seit seinem Dienstantritt vor zwei Jahren hat er stets die Vorzüge eines „organischen Wachstums“ gepriesen. Eine Spitzenmannschaft müsse sich allmählich entwickeln; dies gelte in Dortmund umso mehr, als die Personalpolitik dort überwiegend auf junge Spieler, zumeist im Alter von Anfang zwanzig, ausgerichtet sei. Zu Beginn der Saison warnte Sammer vor übertriebenen Erwartungen. Vier Spiele, vier Siege, kein Gegentor, was hieß das schon? Nach fast jeder Partie, ob gewonnen oder verloren, sieht Sammer mehr Grund zu tadeln als zu loben. Selbst im schönsten Erfolg findet der Perfektionist zumeist mögliche Ursachen für die nächste Niederlage. „Ich bin ein bisschen spröde“, sagt er. Zuweilen wirkt er sogar schroff. Dieser Wesenszug verschafft ihm die Distanz, die ein Vorgesetzter braucht, damit er als Autorität wahrgenommen wird, ohne auf autoritäres Gehabe angewiesen zu sein.

Sammer hat sich die Gefolgschaft so genannter Stars nicht durch Stammplatzgarantien erkauft. International anerkannte Spitzenspieler wie Kohler, Reuter, Oliseh oder Amoroso finden sich, wenn die Taktik es erfordert, auf der Ersatzbank wieder und ertragen dieses Schicksal zumeist still. Dass Sammer vor Konflikten mit Spitzenspielern nicht zurückschreckt, macht ihn über seine taktischen Fähigkeiten hinaus schon in jungen Jahren zu einer überragenden Trainerpersönlichkeit. Selbst wenn eine sensible Künstlernatur wie Amoroso sich – mit dem Publikum im Rücken – weigert, vorzeitig vom Platz zu gehen, bleibt Sammer hart und reagiert besonnen auf das öffentlich vorgetragene Klagelied des renommierten Torjägers. „Ich bin nicht für Einzelne zuständig, sondern für den ganzen Laden“, sagt Sammer. Manager Michael Meier bescheinigt dem durchsetzungsstarken Sachsen einen „souveränen Umgang“ mit schwierigen Charakteren „wie Amoroso oder Lehmann, die alle viel zu sagen haben".

Die Kommunikation nach außen mag Sammer schwer fallen – hinter verschlossenen Türen scheint er den richtigen Ton zu treffen. Dieser Widerspruch verleiht seiner Persönlichkeit auch in der modernen Mediengesellschaft etwas Geheimnisvolles und macht ihn zu einer Ausnahmeerscheinung. Auch Borussias Präsident Gerd Niebaum ist dem Phänomen Sammer auf der Spur, zumindest was dessen Berufsleben betrifft: „Matthias Sammer als Trainer ist wie ein guter Arzt.“

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