zum Hauptinhalt

Sport: Das Schauspiel der Schüler - Die Footballer von Berlin Thunder trainieren in Orlando

Die Szenerie in der Highschool von Ocoee, einem Vorort Orlandos, wirkt für einen europäischen Betrachter ungewohnt. Im hinteren Teil der Schulsportanlage wärmt sich gerade eine stattliche Horde Jugendlicher auf.

Die Szenerie in der Highschool von Ocoee, einem Vorort Orlandos, wirkt für einen europäischen Betrachter ungewohnt. Im hinteren Teil der Schulsportanlage wärmt sich gerade eine stattliche Horde Jugendlicher auf. Die Halbstarken zählen dabei laut im Chor. Später kreisen sie singend wie die US-Army um das Spielfeld, angetrieben vom Ehrgeiz, den American Footballer von Berlin Thunder, die es auf dem Platz im Gegensatz zu den Pänelern recht locker angehen lassen, ihre gute körperliche Verfassung zu präsentieren. Schließlich will keiner von ihnen als Weichei gelten. American Football ist hier nämlich der Nationalsport Nummer eins. Doch die gut 50 Footballer von Thunder auf dem Feld interessieren sich nicht recht für das Schauspiel der Schüler.

Das Training von Berlin Thunder findet zwar ohne die obligatorische Ausrüstung statt - ist deshalb deutlich weniger körperbetont und ließe einige Umblicke zu - doch die mentale Trainingsausrichtung des neuen Headcoaches Peter Vaas fordet die Spieler gleichfalls stark. Zumal die Sonne am wolkenlosen Himmel so manchen Kopf nach zwei bis drei Stunden des Übens schon mal ziemlich weich werden lässt. Etwas, was dem Mitdenken bei komplizierten Spielzügen nicht gerade förderlich ist. Trotzdem steigt mit jeder Stunde das gegenseitige Verständnis, was für das taktische Spiel ausschlaggebend ist. "Die Chemie im Team muss am Ende stimmen", sagt Vaas und fügt hinzu, dass er sich mit seiner Art des Trainings auf einem erfolgversprechenden Weg befindet.

Natürlich besteht das Trainingslager der Teams der NFL-Europe (NFLE) in Florida nicht nur aus lockeren Trainingseinheiten, in denen spezielle Spielzüge erprobt werden. Das zeigt sich spätestens bei den sogenannten Scimmages, den Testspielen gegen die fünf andern NFLE-Teams auf dem Gelände von Disney World. Die ersten Treffen dieser Saison sind ein wichtiger Prüfstein für die Trainer bei der Auswahl der Spieler, die am Ende im 43-köpfigen Ensemble die Saison bestreiten werden. Das bedeutet für rund ein Drittel der angereisten Spieler, dass sie das Trainingscamp im Laufe der vier Wochen verlassen müssen. Lediglich die wenigen nationalen Spieler und einige von der NFL gesetzte Spieler stehen nicht zur Disposition und können gelassen der abendlichen "Auslese" entgegensehen.

Zum ersten Mal warteten die übrigen Spieler in der Nacht zum Sonntag auf den unangenehmen Anruf ihres Trainers. Bei Thunder waren es derer acht, die nach dem sogenannten Cut die Koffer packen mussten. Darunter auch Keith Williams, der mit einer 100-Meter-Bestzeit von 10,01 als Ersatzläufer für die amerikanische Sprintstaffel für Olympischen Spiele in Atlanta 1996 nominiert war. Für ihn ist der Traum von einer Profikarriere in der NFL ausgeträumt. Im Gegensatz zu Kenny Watts, der bei Thunder zwar aus dem Raster gestrichen wurde, aber sofort bei den Scottish Claymores einen neuen Arbeitgeber fand. Alle andern "gecutteten" Spieler erhalten immerhin die Chance, noch vor oder während der Saison für Verletzte nachzurücken.

Am kommenden Sonntag kurz nach acht Uhr fällt dann die Entscheidung im siebenköpfigen Trainerstab. Und rund zehn Spieler werden dann wieder einen Anruf von Peter Vaas erhalten. Sie sind dann die letzten, die das Team verlassen. Vaas wird die Spieler noch ein wenig motivieren, aber nicht mehr sagen als notwendig. Fragen könnten sie, aber die meisten tun es nicht. Gelegentlich fließen sogar Tränen. "Die meisten akzeptieren die Entscheidung, können sie aber häufig nicht nachvollziehen", sagt Vaas. Dafür sind sie eben Profis und dazu gehört auch das Verlieren. So bitter, wie es klingen mag und für den einzelnen tatsächlich ist.

Ingo Wolff

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false