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Sport: Das unsichtbare Tor

Werder trifft gegen Ajax ein Grundsatzproblem

Wie jubelt man über etwas, das niemand gesehen hat? Normalerweise ist der Torjubel von Fußballspielern eine Explosion an Freude. Dem Moment, in dem der Ball die Linie passiert, folgt die Ekstase: Schreie, wilde, spontane Gesten. Das zweite Tor bei Werder Bremens 3:0-Sieg gegen Ajax Amsterdam im Uefa-Cup war anders. Torsten Frings hatte einen Eckball geschlagen, seine Mitspieler hatten scheinbar vergeblich versucht, den Ball über die Linie zu bugsieren. Frings stand direkt neben dem Linienrichter und begriff schnell, was dieser tat. Frings riss die Arme hoch und zeigte an: Seht her! Der Mann läuft zur Mittellinie! In der Zeichensprache des Fußballs heißt das: Tor.

Die Bremer Spieler beglückwünschten Frings, den Entdecker dieses Tores, nicht den Torschützen. Das Tor wurde Naldo gutgeschrieben, dessen Kopfball der Amsterdamer Verteidiger Anita hinter der Linie abgewehrt haben soll. „Dieses Tor hat wohl nur der Linienrichter gesehen“, sagte Ajax-Trainer Henk ten Cate. Was wie eine Floskel des enttäuschten Verlierers klingt, war die Wahrheit. Denn dieses Tor hatte tatsächlich niemand gesehen, genauso wenig, wie jemand gesehen hatte, dass der Ball nicht im Tor war. Weder die Spieler, die in der Nähe standen: Naldo („Mir war die Sicht verdeckt“), Per Mertesacker („Ob der Ball mit vollem Umfang hinter der Linie war, kann ich nicht sagen“) oder Clemens Fritz („Aus meiner Perspektive nicht zu sehen“) – noch die Fernsehkameras, die sonst jedes Zucken auf dem Platz wahrnehmen. In keiner Einstellung war zu erkennen, ob der Ball wirklich mit vollem Umfang die Linie überschritten hatte, wie es die Regel verlangt.

Spätestens seit Wembley 1966 werfen solche Tore die Frage auf, wie der Fußball damit umgehen soll. Der Fernsehbeweis bringt wenig, wenn auch die Objektive nichts sehen. Bleibt der Chip im Ball, mit dem die Position des Balls auf dem Spielfeld durch die vom eingenähten Chip ausgehenden Funkwellen millimetergenau bestimmt werden kann. Diese Technik sollte zur WM in Deutschland eingeführt werden. Bei der U-17-WM in Peru 2005 wurde sie bereits getestet. Es sollen aber noch mehr Tests folgen. Zudem gibt es eine neue Technologie, die aus Italien kommt und auf Kameras basiert. Über beides will das International Board der Fifa im März diskutieren. Das Board ist zuständig für die Regelgestaltung im Fußball.

Bis auf Weiteres müssen sich die Unparteiischen auf ihr Auge und im Zweifelsfall auf ihr Gefühl verlassen. So wie Werders Sportdirektor Klaus Allofs. Er hatte zwar auch nichts gesehen, brachte aber ein weiteres Indiz ins Spiel. „Der Spieler stand auf der Torlinie und hat den Bauch eingezogen“, sagte Allofs. „Deshalb glaube ich, dass der Ball hinter der Linie war.“

Steffen Hudemann[Bremen]

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