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Ein Fall für zwei. Ioannis Topalidis (links) wurde mit Otto Rehhagel Europameister.

© picture-alliance/ dpa/dpaweb

Das Wunder von 2004: Topalidis: An Ottos Seite

Er war Otto Rehhagels Dolmetscher und Einflüsterer beim griechischen EM-Wunder 2004. Ioannis Topalidis erinnert sich an magische Momente, Feiern mit drei Millionen Griechen und spontane Gesangseinlagen des deutschen Trainers.

Einen Wimpernschlag nachdem Traianos Dellas, der Koloss von Rhodos, in der Luft stehend den Ball ins Netz gewuchtet hat, hebt auch Ioannis Topalidis ab. Der Kotrainer fliegt regelrecht über den Rasen des Drachenstadions von Porto und ist dann mal weg.

Dabei stand Griechenland nach dem Spiel gegen Tschechien erst im Finale dieser EM 2004. Aber man weiß ja gar nicht, wo man anfangen soll bei diesem märchenhaften Sommer. Auch Topalidis nicht. Der griechische Turnierverlauf klingt immer noch mehr wie der viel zu schöne Traum einer notorisch großmannssüchtigen Nation.

Ioannis Topalidis saß zur Rechten Otto Rehhagels. „Wir haben alles zu zweit gemacht.“ Der Loyalität seines Giannis konnte sich Otto sicher sein: „Ich war ein Fan von ihm.“ Dass Rehhagel ihn, den Oberligatrainer, Ende 2001 für die Mission Hellas auswählte, schmeichelte Topalidis.

Topalidis, in Stuttgart groß geworden und in Griechenland zur Schule gegangen, war der ideale Mittler zwischen den Kulturen. Er übersetzte nicht, er interpretierte Rehhagels Anweisungen. Wenn Otto wieder einmal eine Ansprache mit „Meine Herren“ einleitete, sagte Topalidis einfach „paidia“, Kinder. „So sagt man das eben in Griechenland.“

Vieles musste er ohnehin nicht übersetzen: Rehhagel sprach mit dem Körper. Er hatte ein untrügliches Gespür für die Befindlichkeiten seiner beruflichen Heimat. Bei einem Training hob er vermeintlich spontan zur griechischen Hymne an. Vorher hatte sie ihm Topalidis geduldig beigebracht.

Im Sommer 2004 beginnt das Abenteuer. Und wie. Dem überraschenden 2:1-Sieg im Eröffnungsspiel gegen Gastgeber und Mitfavorit Portugal folgt ein 1:1 gegen Spanien, ein 1:2 gegen Russland reicht, um ins Viertelfinale einzuziehen. Der Gegner dort: Frankreich. Doch Rehhagels Selbstvertrauen ist unerschütterlich. „Die sind jetzt fällig“, ruft er beim Training.

Die Taktik diesmal: Manndeckung. Theodoros Zagorakis legt Zinedine Zidane an die Kette und legt Angelos Charisteas zum entscheidenden 1:0 auf. Griechenland tanzt weiter.

Im Halbfinale gegen Tschechien gilt es erneut, einen Schlüsselspieler auszuschalten. Jan Koller, 202 Zentimeter Schattenwurf. Rehhagel und Topalidis überlegen stundenlang, dann entscheiden sie sich für den 20 Zentimeter kleineren Mihalis Kapsis statt Koloss Dellas als Manndecker. Und Dellas, von seiner lästigen Defensivarbeit befreit, köpft das siegbringende 1:0! Griechenland steht im Endspiel.

Vor dem Finale kommen Topalidis die Zweifel. Eine zweite Sensation gegen die Portugiesen? Schwer zu glauben. Rehhagel schüttelt nur den Kopf: „Du brauchst nur die richtige Strategie und ein bisschen Glück.“ Je länger dieses Finale dauert, desto klarer wird: Viel Glück brauchen sie gar nicht.

Es ist dann wieder eine Ecke. Die griechische Kurve summt und surrt. Zehntausend Hände zittern, nervös nach vorne gereckt. Da kommt der Ball, Charisteas steht am Fünfmeterraum reglos in der Luft, zuckt kurz mit dem Hals nach vorne – und Griechenland ist Europameister. „O Angelos!“, ruft der griechische TV-Kommentator. „Der Engel Griechenlands!“

Am nächsten Tag geht es nach Athen. Drei Millionen Menschen warten auf die Helden. Vom Flughafen ins Olympiastadion von 1896 dauert es vier Stunden. Erst am späten Abend kommt Ioannis Topalidis zur Ruhe. Heute bewertet er seine Rolle bescheiden: „Die Mannschaft hat sehr viel geleistet, auch ich habe etwas dazu beigetragen“, sagt er. „Aber Otto war der Regisseur der Geschichte.“

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