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Sport: Das zweite Leben

Warum Alessandro Zanardi nach seinem schweren Unfall wieder auf der gleichen Strecke Autorennen fährt

Berlin. Angst spielt im Leben eines Rennfahrers eine höchst untergeordnete Rolle. Als er noch für Williams in der Formel 1 fuhr, hat Alessandro Zanardi mal betont: „Angst habe ich keine, Respekt ja.“ An dieser Einstellung, die bei vielen im Motorsport einen Verdrängungsmechanismus beinhaltet, hat sich bei dem 36-jährigen Italiener auch nach dem 15. September 2001 nichts geändert – dem Tag, an dem er auf dem Eurospeedway Lausitz in einem Rennen der US-Cart-Serie schwer verunglückte. Bei dem Unfall verlor er beide Beine. Es sei „ein Schicksalsschlag" gewesen, sagte er später. 13 Runden fehlten Zanardi damals bis zur Zielflagge. Dass der zweimalige Cart-Champion aus Bologna genau diese Distanz am nächsten Sonntag nachholen wird, wenn die Champ Cars erneut in Sachsen zu Gast sind, entspricht seiner Einstellung. Unter ärztlicher Aufsicht ist Zanardi bereits in einem speziell für ihn gefertigten Auto in England gefahren: Er hat mit der Hand gekuppelt und Gas gegeben, gebremst hat er mit einer Beinprothese.

Sein eigener Psychologe

„Ja, das ist der Zanardi, wie ich ihn kennen gelernt habe“, sagt Professor Axel Ekkernkamp, der Ärztliche Direktor im Unfallkrankenhaus Marzahn. „Wenn er heute sagt, dass er Freude am Leben hat, Dankbarkeit empfindet und voller Pläne ist, dann glaube ich ihm das aufs Wort.“ Ekkernkamp und sein Professorenkollege Walter Schaffartzik standen vor zwei Jahren gemeinsam mit Daniela Zanardi am Bett des Verunglückten, als er wieder die Augen öffnete. „Er wusste sofort, dass er keine Beine mehr hat. Aber auf Grund seiner Reaktion, als er in die Augen seiner Frau schaute, war uns klar, dass dieser Mann keinen Psychologen brauchen würde. Und so war es auch", sagt Ekkernkamp noch heute voller Bewunderung. „Zanardi ist auch danach in kein Loch gefallen. Er wird selbst bei seiner Rückkehr auf den Lausitzring keine Probleme haben.“

Zwischen Zanardi und den Professoren entwickelte sich eine Freundschaft. Schaffartzik hat extra eine USA-Reise nach Boston so organisiert, dass er am Sonntag auf dem Lausitzring bei Zanardi sein kann. Es ist auch keine einseitige Geschichte wie sonst zwischen Ärzten und Patienten geblieben. „Nein, für uns ist das Beispiel Zanardi sogar hilfreich in anderen Fällen“, erzählt Ekkernkamp. „So habe ich dem jungen Mann, der in Berlin vor die U-Bahn gestoßen wurde und dabei die Beine verloren hat, viel über den Italiener erzählt. Davon, welchen Lebensmut er hat, von seinem Kampf, wieder gehen zu können und von seiner Liebe zur Familie.“

Mit Prothesen und Stöcken

Der 45-jährige Professor hatte es in seinem Beruf erst einmal mit einem Menschen zu tun, der nach einem schweren Schicksalsschlag eine ähnliche Willenskraft wie Zanardi entwickelte: CDU-Politiker Wolfgang Schäuble, der nach einem Attentat im Rollstuhl sitzt. „Ich erinnere mich besonders daran, wie er damals als Innenminister unter Schmerzen in Stuttgart Tarifverhandlungen führte. Das war schon außergewöhnlich.“

Außergewöhnlich, wie auch der Weg von Alessandro Zanardi verlief – mit Prothesen und gestützt auf Stöcke. Bereits acht Monate nach seinem Unfall hatte er in Monaco seinen ersten öffentlichen Auftritt, bei dem er als Vorsitzender seiner Stiftung Prinz Albert einen 85000-Dollar-Scheck für dessen Kinderhilfsprojekt in Madagaskar überreichte. „Zum ersten Mal in meinem Leben habe ich die Möglichkeit, etwas für Menschen zu tun, die nicht so viele Chancen wie ich hatten. Das ist wichtiger als meine Siege“, sagte Alessandro Zanardi zu diesem Anlass. Aus aller Welt hatten Menschen Geld für ihn und seine Familie geschickt, das er „nicht brauchte und deswegen damit eine Stiftung gründete“.

Lange vor seinem Unfall hatte Zanardi einmal gesagt: „Ich glaube nicht, dass ein Mann aufs Titelblatt muss, um leben zu können.“

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