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Sport: Defensiv mit Herz

Frankreichs Einzug ins WM-Finale ist auch ein Verdienst der gereiften Abwehr

Als der Ball von seinem Fuß ins Netz gezischt ist, ballt Zinedine Zidane die Faust. Ein Abklatschen mit den Kollegen gönnt er sich, bevor der Kapitän der französischen Mannschaft hurtig zu seinem Platz im Zentrum zurückläuft und wieder Anweisungen verteilt, vorrangig an die Abwehrspieler. Der Ernst geht weiter; nach dem 1:0 (1:0)-Sieg über Portugal am Sonntag im WM-Finale gegen Italien. In Berlin steht Zidanes Abschied von der Weltbühne auf dem Programm – und der letzte Auftritt einer französischen Mannschaft, von der keiner weiß, ob sie den Zenit ihres Schaffens nur ein klein wenig oder schon zu weit überschritten hat. „Es ist nicht so, dass sich bei uns alles um Zizou dreht“, sagt Patrick Vieira, der im Rücken seines Chefs geschickt die Räume verengt. „Es geht um uns alle.“ Um zu beweisen, dass der Erfolg nicht nur einen Namen trägt, wandelte Vieira eine deutsche Fußballphrase in ein eigenwilliges Englisch um: „The truth is on the pitch.“

Die Wahrheit über das französische Team ist vielschichtiger, als es der Glanz von Zidane erscheinen lässt. Sie setzt sich zusammen aus einem Teamgeist, der sich nach dem drohenden Aus in der Vorrunde von keinem Umstand mehr zerreißen lässt. Hinzu kommt die Erfahrung einer gestählten Fußballergeneration, die sich gegen ratlos anrennende Portugiesen bezahlt machte. Dazu gehört eine Abwehr, die nur zwei Gegentreffer zugelassen hat: einen Elfmeter von Spanien, ein spätes Glückstor von Südkorea.

Wenn Zidane das Gehirn des französischen Spiels ist, so ist die Defensive ihr Herz. Nach dem Führungstreffer durch den präzisen Elfmeter des Kapitäns verdichtete das Team sein Abwehrnetz. Vor der Viererkette, die die Portugiesen mehrmals ins Abseits laufen ließ, agierten nicht nur die Abfangjäger Vieira und Claude Makelele. Auch die offensiv ausgerichteten Außenspieler Frank Ribery und Florent Malouda konzentrierten sich auf die Blockbildung. Den Portugiesen brachte es deshalb wenig, dass Kapitän Luis Figo und Cristiano Ronaldo mehrmals die Seiten wechselten. In jeder Position blieben beide trotz manch sehenswerter Einzelvorstellung ineffektiv. „Cristiano Ronaldo hat gut gespielt, aber die Franzosen haben ihm die Möglichkeit genommen, seine Stärken auszuspielen“, konstatierte Portugals Trainer Luiz Felipe Scolari. Eine ähnlich deprimierende Erfahrung hatten schon Brasiliens Stars im Viertelfinale gemacht. „Wir sind eben nervig zu spielen“, freute sich Willy Sagnol vom FC Bayern, der im heimischen Stadion gefeiert wurde. Unauffällig und ohne viele Fouls hatte Frankreichs Abwehr in München alles im Griff.

„Unsere Offensivleute haben gut hinten mitgeholfen“, lobte Trainer Raymond Domenech. Selbst Zidane und der auf Konter lauernde Thierry Henry beteiligten sich am Pressing. Die Portugiesen kombinierten mit kurzen Pässen gefällig, doch vor ihrer Ankunft im Strafraum waren alle Lücken geschlossen. 35 Minuten waren die Portugiesen am Ball, nur 24 Minuten die Franzosen. „Wir haben es versucht, aber gegen die Abwehr gab es kein Durchkommen“, sagte Deco, der zusehends die Lust verlor. Einzig Frankreichs umstrittener Torwart Fabien Barthez, der sich schon gegen Brasilien Wackler leistete, machte das Spiel spannend, als er einen Freistoß von Ronaldo wie ein Volleyballer in den Strafraum baggerte. Figo köpfte den Abpraller jedoch über das Netz. Im Finale könnte Barthez ein Schwachpunkt gegen die kaltblütigen Italiener sein.

In jeder Situation die Ruhe zu bewahren, ist die Stärke der französischen Feldspieler. Coach Domenech lebt Gelassenheit vor, er ließ sich nie von Kritik irritieren und genießt Triumphe in stiller Andacht. Nach Zidanes Treffer blieb er auf der Bank sitzen und schloss genießerisch die Augen, nach dem Spiel trug er ein verschmitztes Lächeln zur Schau. Ähnlich nahm sich die Körpersprache der Spieler aus, die nach ihrem Erfolg entspannt Auskunft gaben, selbst wenn sie wie Florent Malouda mit einem schweren Koffer und einem großen Rucksack beladen waren.

Frankreichs defensive Stärke erwächst aus der Reife und dem Ernst ihrer Akteure. Das lässt am Sonntag (20 Uhr, Olympiastadion) ein Endspiel auf hohem Niveau erwarten. 1998 im eigenen Land gewann Frankreich zum letzten Mal den Titel – dank Zidane, aber auch dank einer hervorragend funktionierenden Abwehr.

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