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Demo in Berlin: Fans nehmen gemeinsam Anstoß

In Berlins Mitte demonstrieren Fans aus ganz Deutschland für ihre Kultur und neue Spielzeiten. Selbst große Rivalitäten werden dabei vergessen. Ein Report.

Berlin - Marco mag die Fans des 1. FC Union nicht. Genau genommen hasst er sie sogar. Warum, kann er nicht sagen. Marco kommt aus Dresden, er ist Anhänger des städtischen Fußballklubs Dynamo, und dessen Fans vertragen sich nun mal nicht so gut mit denen von Union. Gestern ließen Marco und seine Dresdener Freunde ihre Rivalität zu den Berlinern jedoch für einige Stunden ruhen. Es ging um Wichtigeres: Gemeinsam demonstrierten die Fans von Dynamo Dresden, Union Berlin und vielen anderen Vereinen vor dem Roten Rathaus für „den Erhalt der Fankultur“. Der Protest richtete sich vor allem gegen die Kommerzialisierung des Fußballs in all seinen Facetten: gegen die von den Fernsehanstalten bestimmten Anstoßzeiten der Spiele und die Einschränkung von Fanutensilien. Aber auch die Einsatztaktik der Polizei an den Spieltagen und das Problem der Stadionverbote wurden thematisiert.

„Ich kann durchaus verstehen, dass die Fans auf die Straße gehen“, sagt der DFB-Sicherheitsbeauftragte Helmut Spahn im Gespräch mit dem Tagesspiegel. „Ich wünsche mir Fanszenen, die ihre Meinung artikulieren. Die kritisch sind, auch uns gegenüber.“ Nicht nur gegen den DFB richtet sich der Ärger der Fans, auch gegen die DFL. Dem Ligaverband werfen viele Fußballfans vor, ihren Sport immer stärker zu kommerzialisieren und bei Anstoßzeiten eher auf die Bedürfnisse der Fernsehpartner zu achten als auf die der Menschen, die ins Stadion gehen. „Stell dir vor, es ist Fußball und keiner geht hin“, stand auf einem Plakat der Union-Fans. Den meisten Anhängern von Vereinen aus der Zweiten Liga sind vor allem die Spiele am Montagabend ein Ärgernis. Viele müssen extra Urlaub nehmen, wenn ihre Mannschaft unter der Woche auswärts antreten muss.

Die DFL wollte sich im Umfeld der Demonstration am liebsten gar nicht offiziell äußern. Thomas Schneider, der Leiter für Fanangelegenheiten beim Ligaverband, muss am Telefon auf die Pressestelle verweisen. Dort gibt man nach langem Zögern doch noch ein knappes offizielles Statement in Schneiders Namen heraus: „Die DFL steht und stand jederzeit für einen Dialog zu Verfügung. Auch wir machen uns für den Erhalt der Fankultur stark, was man beispielsweise am Erhalt der Stehplätze in den Stadien, aber auch an der Haltung des Ligaverbandes zur 50+1-Regelung sehen kann.“ Diese Regelung verbietet Investoren, eine Mehrheit an Fußballklubs zu erlangen.

Für die Fans am Roten Rathaus sind solche Sätze Lippenbekenntnisse. Gerade bei der Diskussion um die Anstoßzeiten wollen sie sich nicht länger vertrösten lassen. Seit dem Fankongress 2007 sitzen DFL und DFB mit Fanvereinigungen wie „Unsere Kurve“ oder dem „Bündnis Aktiver Fußballfans“ (Baff) in der „AG Fandialog“ zusammen. Jetzt wollen einige Fanorganisationen die AG verlassen, weil sie sich nicht ernst genommen fühlen.

„Wenn man sich die bisherigen Ergebnisse ansieht, ist das ernüchternd“, sagt Christian Biederknecht. „Wir wurden in den Gesprächen nie wirklich ernst genommen.“ Biederknecht ist Fan des Hamburger SV und gehört zu den Initiatoren der Protestveranstaltung, an der laut Biedermann „mehrere tausend Menschen“ teilnahmen. Die Polizei sprach von etwa 4000 Teilnehmern.

Helmut Spahn hat Verständnis dafür, dass die Fans mit der Arbeit der AG nicht zufrieden sind. „Ich kann nachvollziehen, dass es an der einen oder anderen Stelle über die Umsetzung von Vorschlägen eine Enttäuschung gab“, sagt Spahn. „Andererseits darf das keine Einbahnstraße sein. Man kann keine Forderung stellen, und wenn die dann nicht eins zu eins umgesetzt wird, heißt es, der Dialog sei schlecht.“ Dass die Fans das Gefühl haben, in der AG allein als Bittsteller wahrgenommen zu werden, bedauert Spahn: „Wenn die subjektive Wahrnehmung so ist, dann muss man darüber reden, dann ist das nicht in Ordnung.“ Der DFB wolle den Dialog in jedem Fall aufrechterhalten und versuchen, eine neue Institution – eine Art Fanbeirat – zu gründen.

Auf eine neue Institution kann Christian Biederknecht gut verzichten, solange seiner Meinung nach mit der alten nicht besser umgegangen wird. „Wir Fans sind das einzig Bleibende im Fußball. Trainer und Spieler gehen irgendwann. Sponsoren auch. Gemessen daran ist unser Einfluss auf das Geschehen viel zu gering.“

Biedermann stört daneben die öffentliche Wahrnehmung der Fans. Er sagt: „Natürlich sind unter uns nicht nur Engel, aber Fußballfans sollten nicht gemeinschaftlich als trinkende Schläger dargestellt werden.“ Eines der Mottos der Demo lautete deshalb: „Getrennt bei den Farben – vereint in der Sache“. Friedlich sollten diejenigen miteinander marschieren, die sich sonst am Wochenende das Schlimmste wünschen. HSV- und St.-Pauli-Sympathisanten liefen nebeneinander, auch Hertha- und Union-Fans.

Für Anhänger aus Mönchengladbach und Leverkusen war es allerdings zu viel verlangt, gemeinsam mit Kölnern aufzutreten, denen sie Angriffe auf ein Fanprojekt und den Diebstahl von Fahnen vorwerfen. Sie sagten ihre Teilnahme ab.

Dafür bekamen die anwesenden Fußballfans Unterstützung aus anderen Sportarten. Die Eishockeyfans der Berliner Eisbären nahmen ebenfalls an dem Protestmarsch teil. „Wir sitzen alle im selben Boot“, sagt einer von ihnen, Maik. „Wir sind im Eishockey genauso von der Kommerzialisierung des Sports betroffen wie die Fußballer.“ Maik ist Eisbären-Fan, auf seinem T-Shirt steht: „Ob Puck oder Ball, gleiche Anstoßzeiten überall.“

Vor der Demonstration hatten die Veranstalter den Teilnehmern noch einige Vorgaben mit auf den Weg gegeben, die an Stadionordnungen erinnerten. Pyrotechnik und rechtsradikale Sprüche waren ebenso ausdrücklich unerwünscht wie „blödes Rumgeprolle, Machtdemonstrationen oder Alkoholleichen“. In einem der Aufrufe zur Demonstration stellen die Veranstalter auch klar: „Wer sich danebenbenimmt, wird von der Demo ausgeschlossen.“

Wirklich danebenbenommen hat sich laut Polizeisprecher Florian Nath aber niemand. „Es sind Vertreter der Ultra-Fanszene aus allen Teilen Deutschlands angereist, aber bisher ist alles ruhig geblieben“, sagte Florian Nath gestern Nachmittag. Nicht nur Marco und die Dresdener Fans vergaßen am Sonnabend, dass sie ihre Mitstreiter eigentlich gar nicht mögen.

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