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Sport: Den Korb an den Nagel gehängt

WASHINGTON .Eigentlich müßte, wer an Michael Jordan denkt, Batterien assoziieren.

WASHINGTON .Eigentlich müßte, wer an Michael Jordan denkt, Batterien assoziieren.Oder Herren-Unterwäsche.Oder Telefongesellschaften für Ferngespräche.Jedenfalls nicht Basketball.Denn alles, was Amerika von seinem Heros in den letzten Monaten sah, war TV-Werbung, kein Sport.

Doch dem ist nicht so.Auch wenn Amerikas Basketball-Profiliga NBA seit einem halben Jahr brachliegt, weil die Spieler und die Besitzer der Clubs sich über die Gehälter ihrer Stars nicht einigen konnten, ist Michael Jordan trotzdem auch als Werbeträger immer noch erkennbar der Sportstar auf fremdem Terrain.Er witzelt sogar darüber.Die Telefongesellschaft MCI wirbt mit Jordan, indem dieser sich von einer Cartoonfigur zurechtweisen läßt, wie man einen seriösen Werbeauftritt hinlegt."Ich wollte einen Shakespeare, und ich bekam einen Clown!", grämt sich die Zeichentrickfigur.Und Jordan grinst.

So ist er eben, Michael "Air" Jordan: gutmütig.Familienfreundlich, kinderlieb, pflegeleicht, sauber.Und dazu, so hat es die "New York Times" in aller gebührenden Bescheidenheit zusammengefaßt, "der bekannteste Sportstar der Erde".Die Batterien und Unterhosen mögen Amerika erhalten bleiben, doch in die Arenen will Jordan nicht zurückkehren.Noch am Dienstag oder spätestens am Mittwoch, so prognostizierten die US-Medien unisono, werde der Megastar der "Chicago Bulls" seinen Rückzug aus dem aktiven Dienst am Ball bekanntgeben.Wo der Gefragte steckt, ist nicht ganz klar.Zum Urlaub war er auf den Bahamas; ob er inzwischen inkognito nach Illinois zurückgekehrt ist, darüber rätselte Amerika am Dienstag.

Kurz vor seinem 36.Geburtstag mag man einem Sportler den Rücktritt ja nachsehen.Was soll Jordan auch noch wollen? Sechs NBA-Titel hat er eingefahren, fünfmal war er der wertvollste Spieler der Liga.Es ist dennoch ein Rückzug zur unpassenden Zeit.Da haben sich die Funktionäre der NBA gerade zusammengerauft und sowohl den Spieler-Streik als auch die Gegen-Aussperrung beendet.Seit Juli ruhte die NBA.Die Trainingslager hätten am 5.Oktober, die regulären Spiele am 3.November beginnen sollen.Anfang Februar soll nun eine verkürzte Rest-Saison starten.

Ein Sport will sich seinen guten Ruf zurückholen, will Hunderte Millionen Dollar an entgangenen Einnahmen wettmachen, Fans wieder begeistern und Stadien füllen.Und ausgerechnet das Zugpferd, der Held, der Star sagt "nein danke"."Jordan und nur Jordan - er allein kann die NBA retten", hat vor drei Tagen Basketball-"Commissioner" David Stern, der von den Team-Besitzern eingesetzte Verwaltungschef der Liga, flehentlich in die Kameras gehofft.

Pech gehabt.Statt der Identifikationsfigur bleiben der NBA nun Kuriositäten wie Crossdresser/Action-Schauspieler/Madonna-Lover Dennis Rodman - ein tätowierter, grellhaariger Polarisierer, der sich gerade entschieden hat, seine unter stupendem Alkohol-Einfluß geschlossene Spontan-Ehe mit der Ex-Porno-Größe Carmen Electra im Rodman-typischen Las Vegas doch nicht annullieren zu lassen.Dies ist das Material, aus dem die NBA nun ihre neuen Leitfiguren wird schmieden müssen.Streetfighter statt Familienvater.Jordan-artiges Versöhnungspotential ist da nicht in Sicht.

"Ich will auf dem Gipfel meiner Karriere zurücktreten", hatte Jordan nach seinem letzten Titelgewinn im vergangenen Jahr gesagt.Den entscheidenden Ball im letzten Finalspiel hatte er da gerade persönlich im Korb versenkt.Das Match gegen die "Utah Jazz" am 14.Juni dürfte sein letztes gewesen sein.Daß er genug vom Basketball hatte, verheimlichte er nicht.An den Verhandlungen über neue Spielergehälter war er nur anfangs beteiligt.Jordan spielte lieber Golf.Die Arbeit im Kraftraum vernachlässigte er.Sein Wunschtrainer Phil Jackson hatte den "Chicago Bulls" bereits den Rücken gekehrt.Jackson war jener, der den Titel "Michelangelo in Turnschuhen" für den Arbeitsbesessenen erfunden hatte.

Sein Lieblingsfach in der Schule war Mathematik.Aus dem Basketball-Team seiner Oberschule "Emsley A.Laney High School" flog er wegen "mangelnden Potentials".Der im Februar 1963 in Brooklyn geborene Jordan gewann 1984, als College-Spieler, seine erste olympische Goldmedaille und 1992 mit dem "Dream Team" seine zweite.1986, in einem Erstrunden-Spiel der Playoffs gegen die "Boston Celtics", erzielte er 63 Punkte.Damals stand ihm ein gewisser Larry Bird gegenüber - neben dem später an Aids erkrankten Magic Johnson der Basketball-Superstar der 80er Jahre.Der Bostoner Bird, der letzte Weiße ganz, ganz oben im NBA-Himmel, hat Michael Jordan neidlos zuerkannt: "Er ist Gott, verkleidet als ein gewisser Herr Jordan." Und Magic Johnson, ein enger Freund Michael Jordans, meinte: "Auch Helden sterben irgendwann.Durch die Spieler-Aussperrung hatte Michael mehr Zeit als sonst, das Leben ohne die NBA zu testen, und es hat ihm gefallen."

Siebenunddreißigmal hat Jordan mehr als 50 Punkte in einem Spiel geworfen.Dies sind die Rekorde, die sich Amerikas Fans jetzt mit Tränen in den Augen ins Gedächtnis rufen.Beinahe vergessen ist heute, daß Jordan seiner NBA schon einmal den Rücken gekehrt hatte.Sein Vater James fiel im August 1993 einem Raubmord zum Opfer.Kurz danach erklärte Michael Jordan seinen Rückzug und tauchte kurz darauf als Zweitligist im Baseball wieder auf.Publizität bekam er, Punkte kaum.Nach anderthalb Jahren landete Jordan wieder im Schoße der "Bulls".

Nach 13 Jahren Jordan tragen die Fans nun Trauer.Beim Sportsender WSCK in Chicago schrillten am Dienstag die Telefone unaufhörlich.Manche Anrufer waren an der Grenze zur Volkspanik.Ein Radiosender schaltete von rotzigem Rock auf traurigen Tschaikowsky um.An der Westküste versuchte ein Fanclub, in der "Los Angeles Times" eine Todesanzeige aufzugeben.

Michael Jordan trug den Ehrentitel "His Airness", was eine Anspielung auf seine Lufthoheit am Korb sein sollte.Aber er war eben das Gegenteil eines Luftikus.Die Post-Jordan-Zeit wird nicht nur für seine Mannschaft aus Chicago schwer werden, sondern auch für die gesamte NBA.Die Werbungs-gepriesene "family of four", die vierköpfige US-Durchschnittsfamilie, gibt für ein Basketballspiel 250 Dollar aus.Eintrittskarten, Souvenire, Verpflegung - es addiert sich.Doch die Familien aus "suburbia" reisen nur dann von der Vorstadt in die Innenstadt-Arenen, wenn sie familienfreundliche Unterhaltung, sympathische Stars und sauberen Sport geboten bekommen.Michael Jordan war der Garant dafür.Das Magazin "Fortune" hat ausgerechnet, daß Michael Jordan höchstpersönlich seiner Liga seit seinem Einstand einen Umsatz von zehn Milliarden Dollar beschert hat.

Statt satter Zuwachsraten steht die NBA jetzt vor dem größten Scherbenhaufen ihrer Geschichte.Vor allem das Image ist nachhaltig ruiniert.In Amerikas anderem Nationalsport, im Baseball, dauerte es nach einem Streik volle vier Jahre, bis die Liga sich erholt hatte.Sie tat es im vergangenen Herbst mit dem gemischtrassigen Wettlauf um einen neuen Home-Run-Rekord.Mark McGwire und Sammy Sosa hießen der weiße und der schwarze Held.Beide teilen sich das Bemühen um ein sauberes Image, um gepflegtes Auftreten und um ihren persönlichen Sport-Helden: Michael Jordan.

Chicago, die "windige Stadt" genannt, war ihm hörig.Hier hat der 1,98-Meter-Athlet die Zentrale seiner Designer-Kollektion, sein eigenes Restaurant und etliche Kindersportstätten.Ein Jahreseinkommen von geschätzten 100 Millionen Dollar will schließlich investiert werden.Michael Jordan hat in seiner Heimatstadt auch schon ein Denkmal."Der Beste, den es je gab.Der Beste, den es je geben wird", lautet die Inschrift am Sockel.

"Chicago gehört Jordan", riefen die Fans am Dienstag in die Kameras der amerikanischen Sportsender.In seinem Restaurant weinten die Gäste dutzendweise.Millionen Kids auf der ganzen Welt verlieren ein Idol - zumindest als Aktiven."Nike" trauert seinem wertvollsten Turnschuhträger nach.Michael Jordans drei kleine Kinder gewinnen einen Papa - vielleicht.

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