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Liverpooler Jubel nach dem Treffer zum 4:3 in der Nachspielzeit.

© Reuters/Darren Staples

Denkwürdige 3:4-Niederlage in Liverpool: Der Mythos Anfield hat Dortmund geschlagen, nicht Jürgen Klopp

Nun wird es heißen, Jürgen Klopp habe sein Ex-Team im Alleingang besiegt. Dabei ließen sich die Dortmunder von der Stimmung im Stadion beeindrucken. Dafür kann Klopp nichts, meint unser Autor.

Nun schlägt wieder die Stunde der Küchenpsychologen und Kaffeesatzleser. Jürgen Klopp hat Borussia Dortmund quasi im Alleingang geschlagen, werden sie behaupten, der Trainer kenne seine Ex-Mannschaft einfach zu gut. Klopp habe den FC Liverpool mit seiner Emotionalität angesteckt und so zum 4:3 in der Nachspielzeit und ins Halbfinale der Europa League gewuppt.

Doch wer sich die 90 Minuten plus fünf am Donnerstagabend angeschaut und vor allem angehört hat, der weiß: Wenn jemand Dortmund geschlagen hat, außer den elf Liverpoolern auf dem Platz oder die BVB-Mannschaft sich selbst, dann war es dieses Stadion. Spätestens als die 45.000 Zuschauer an der Anfield Road in den Schlussminuten erneut „You’ll never walk alone“ anstimmten und zur Aufholjagd bliesen, schlotterten den Gästen sichtlich die Knie.  Als der Dortmunder Kapitän Mats Hummels sagte, seine Mannschaft habe „Schiss bekommen“ und sich „von der Stimmung beeindrucken lassen“, meinte er sicher nicht den Ex-Trainer an der Seitenlinie.    

Im Vergleich zu den Liverpool-Fans, die bangten, sangen und sprangen, jubelte Klopp gegen seine Ex am Ende zurückhaltend. Das 4:3 nahm er fast stoisch zur Kenntnis. Sein Kollege Thomas Tuchel feierte die drei Dortmunder Tore deutlich ausgelassener. Tuchel hat ja auch keine Liverpooler Vergangenheit und ließ sich von der Atmosphäre in Nordengland ebenso beeindrucken wie sein Team, in dem immerhin einige Weltmeister mitspielen.

Klopp hat den Mythos Anfield nicht erfunden

Diesen Mythos Anfield hat Klopp nicht erfunden. Diesen Sportsgeist nicht, der sich auch in der absoluten Stille bei der Schweigeminute vor dem Spiel äußerte, und diesen Gesang nicht, der im Original noch einmal inbrünstiger klingt, wenn 40 000 Liverpooler ihn anstimmen als bei 80 000 in Dortmund. Klopp passt mit seiner Art nach Liverpool, das stimmt, aber die Hoffnung auf das Unmögliche hat nicht er entfacht, sie entfachte sich selbst und wäre wohl auch ohne Klopp aufgekommen. Sie speist sich eher aus der Geschichte als durch den neuen Trainer. Und wieviele Zuschauer im Stadion sehen wirklich, was er an der Seitenlinie macht? Dass ausgerechnet er Dortmund geschlagen habe, ist eine sehr deutsche Perspektive.

Leidenschaft kann Spiele entscheiden, aber es muss nicht immer die Leidenschaft der 22 Spieler oder der zwei Trainer an der Seitenlinie sein. Natürlich werden Fußballspiele nicht durch Fangesänge gewonnen. Aber all die Dinge, die passieren, ob Abwehrfehler oder Traumangriffe, werden durch die Atmosphäre noch einmal angefacht. Sie ist der Brandbeschleuniger, nicht das Feuer selbst. Doch im Vakuum wäre das gestrige Feuerwerk schnell erloschen.

Natürlich kann so eine Stimmung noch umschlagen, Klopp und Liverpool wissen beide, wie man überdreht. Im Halbfinale werden sie auch wieder einen kühlen Kopf benötigen. Und spätestens zum Endspiel in Basel können sie Anfield nicht mitnehmen.

Aber jeder Sieg wie der gestrige in Liverpool, als wieder einmal eine deutsche Mannschaft scheiterte, trägt dazu bei, dass jeder Gastmannschaft die Knie schlottern werden, wenn in den Schlussminuten dieses Lied erklingt. Egal ob Klopp an der Seitenlinie steht oder nicht.

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