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Unter Druck. Lindsey Vonn kämpft nicht nur gegen die Konkurrenz, sondern auch mit sich selbst.

© AFP

Depression: Die schneeweiße Fassade

Nach dem Bekanntwerden ihrer psychischen Erkrankung nimmt sich Skirennfahrerin Lindsey Vonn eine Auszeit, um ihre Form wiederzufinden.

Lindsey Vonn ist die Strahlefrau des alpinen Skisports. Sie war es zumindest bisher. Denn beim Weltcup in Val d'Isere am vergangenen Wochenende sah sie niemand strahlen. Zweimal ist sie ausgefallen. „Ich muss in den nächsten Tagen intensiv darüber nachdenken, wie ich wieder stark werde“, schrieb sie hinterher auf ihrer Facebook-Seite. Am Montag teilte der US-Skiverband mit, dass Vonn die nächsten Rennen auslassen wird und sich zuhause in Vail erholen will.

Erst vor ein paar Tagen hatte sie im amerikanischen Magazin „People“ über ihre psychische Erkrankung gesprochen, deren Symptome auf eine Depression hindeuten. 2002 trat die Krankheit zum ersten Mal auf, aber erst 2008 habe sie sich behandeln lassen. „Ich fühlte mich hoffnungslos, leer, wie ein Zombie.“ Den Optimismus, den sie stets verbreitet, ihre Besessenheit, ihre Jagd nach Rekorden, das erscheint nun in einem anderen Licht. Maria Höfl-Riesch sieht darin den Grund, dass sich Vonn „so wahnsinnig über den Erfolg definiert“. Die deutsche Doppelolympiasiegerin, die seit zehn Jahren mit Vonn befreundet ist, früher sehr gut, jetzt nur noch gut, hat erst im vergangenen Sommer davon erfahren.

Die 28-Jährige ist die beste Skirennläuferin der Welt, sie hat viermal den Gesamtweltcup gewonnen, ist Weltmeisterin, Olympiasiegerin, und es fehlen ihr nur noch fünf Siege, um in der ewigen Weltcup-Rangliste zur mit 62 Erfolgen führenden Annemarie Moser-Pröll aufzuschließen. „Rekorde“, sagt Vonn, „sind eine große Motivation.“

Sie ist talentiert, sehr talentiert. Aber sie hat auch viel dafür getan, um so weit zu kommen. Womöglich wurde sie auch getrieben, von starken Persönlichkeiten in ihrem Leben, die ihr Halt gaben, bei denen sie Halt suchte. Zuerst war es der Vater, der sie trainierte und managte. Als Lindsey elf Jahre alt war, zog die Familie für die Karriere der Tochter von Minnesota nach Vail. Sehr früh habe sie den Druck gespürt, gab sie einmal zu, „erfolgreich sein zu müssen“.

In Lake Louise wollte Vonn bei den Männern starten

Dann trat Thomas Vonn in ihr Leben. Sie erkannte, dass „ich aus dem Vater-Tochter-Gefüge ausbrechen muss“. Es kam zum Zerwürfnis. Gleichzeitig begab sie sich in die nächste Abhängigkeit. Der ehrgeizige, aber nur mittelmäßig begabte frühere Skirennläufer versuchte, auf Lindsey zu projizieren, was ihm selbst verwehrt geblieben war. Von außen schien es die optimale Symbiose zu sein, „jeder sah mich im Fernsehen oder konnte die Artikel lesen und es ging um meine großartige Ehe, die schneeweiße Fassade, den ganzen Erfolg und mein perfektes Leben. Aber hinter den Kulissen war es ein Kampf“. Vor einem Jahr trennte sie sich von Thomas. Zum ersten Mal in ihrer Karriere musste sie viele Dinge selbst bestimmen, selbst entscheiden.

Im vergangenen Winter war sie besser denn je, und es schien so weiterzugehen. Lindsey Vonn, so hatte es die Runde bei den Konkurrentinnen nach den Sommertrainingslagern in Neuseeland und Südamerika gemacht, sei wieder sehr gut drauf. Ihr Trainer Alex Hödlmoser sagte sogar, sie fahre so gut Ski wie noch nie. „Da braucht man sich keine Hoffnungen zu machen, dass Lindsey vielleicht schwächelt“, sagte Höfl-Riesch im Oktober.

Aber dann schied Vonn beim Auftakt in Sölden aus, beim Riesenslalom, den sie ein Jahr zuvor gewonnen hatte. Anschließend verzichtete sie auf den Slalom in Levi Mitte November, um sich auf die Rennen in Nordamerika vorzubereiten, wie es zuerst hieß. Tatsächlich aber kämpfte sie da schon mit Darmproblemen, ein paar Tage verbrachte sie sogar im Krankenhaus. Es gab im deutschen Boulevard schon damals Gerüchte, dass sie psychische Probleme habe. Aber eine Woche später kehrte sie in Aspen in den Weltcup zurück, etwas geschwächt und nicht besonders erfolgreich.

Dann kamen die Speedrennen in Lake Louise, ihrem Wohnzimmer. Der Internationale Skiverband hatte zwar abgelehnt, sie bei den Männern eine Woche zuvor starten zu lassen, aber das spornte Vonn offenbar nur noch mehr an, ihre Überlegenheit zu demonstrieren. Drei Starts, drei Siege – Vonn schien wieder zurück. Aber in Europa lief es bisher nicht gut, Tina Maze ist im Gesamtweltcup enteilt. „Jetzt kommt der nächste Schritt in meinem neuen Leben“, sagte Vonn in Val d'Isere. Es ist aber nur schwer vorstellbar, dass damit die Titel- und Rekordgier nachlässt.

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