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Sport: Der Affe gibt ihm Zucker

Kugelstoßer Ralf Bartels verkrampft oft – jetzt hilft ihm ein Computerspiel, sich besser zu konzentrieren

Berlin - Der Aufdruck auf seinem Auto ist ihm immer noch ein bisschen peinlich. Als er ihn zum ersten Mal sah, diesen Satz „Deutschlands Kugelstoßer Nummer eins“, da hat Ralf Bartels gedacht: „Ach, du meine Güte.“ Er kommt so angeberisch rüber, der Spruch. Die Leute vom Neubrandenburger Autohaus, die ihm dieses neue Auto zur Verfügung gestellt hatten, als Sponsoren-Geschenk, hatten den Satz draufgeklebt. Für sie war es ein Spaß, Bartels wusste nichts davon. Aber das kann er ja nicht jedem in Neubrandenburg erzählen. Denn hier sind viele arbeitslos, auch Bartels’ Vater und sein Bruder. „Da kann so was schnell nach hinten losgehen“, sagt Bartels.

Seit zwei Monaten hat er jetzt das Auto, nach hinten ist noch nichts losgegangen. Die Leute wissen, dass Bartels kein Sprücheklopfer ist. Und sie wissen, dass er ja nicht falsch ist, der Spruch. Auf 21,36 m hat Ralf Bartels, der EM-Dritte von 2002, Ende Mai die Kugel gestoßen: neue persönliche Bestleistung. Die Weite wurde jedoch vom Weltverband IAAF nicht anerkannt, da die Anlage in Engers zu stark abschüssig war. Dennoch: Der Auftritt in Engers war auch ein Sieg über seine Ängste. „Dieser Stoß zeigt, dass ich selbstbewusster geworden bin“, sagt Bartels. „Stimmt, er tritt jetzt anders auf“, sagt Gerald Bergmann, sein Trainer.

Das hat letztlich auch mit den Affen in einem Computerspiel zu tun. Die Affen klettern auf die Palmen, sie müssen so viele Kokosnüsse wie möglich pflücken und so schnell wie möglich. Aber man muss höllisch aufpassen, sonst laufen sie auch mal rückwärts. Ralf Bartels braucht dieses Spiel, es ist seine Hausaufgabe. Sein Psychologe hat sie ihm gegeben. Bartels soll lernen, sich zu konzentrieren. „Ein Stoß im Ring dauert nur 1,5 Sekunden, da muss man auf den Punkt fit sein. Da muss alles automatisch ablaufen“, sagt Bergmann. Heute zum Beispiel, beim Leichtathletik-Meeting in Ulm. Es geht dort auch um die Qualifikation zum Europacup in Florenz am nächsten Wochenende.

Der Psychologe hat Bartels beigebracht, sich nicht ablenken zu lassen und vor allem, nicht zu viel Respekt und zu große Angst zu haben. Bartels ist jetzt 27 Jahre alt, er wiegt 134 Kilogramm, er ist 1,86 Meter groß, eigentlich ist er ein gestandener Kerl. Aber andere waren noch größer, noch stärker – aus seiner Sicht. Einer davon war Oliver-Sven Buder, jahrelang einer der besten deutschen Kugelstoßer. „Ralf hätte Buder häufiger besiegen können, als er es getan hat“, sagt Bergmann. „Bei den deutschen Meisterschaften 2001 hatte Ralf die Hosen voll.“ Buder gewann. Jahre her, aber der Respekt blieb. 2004, bei den Olympischen Spielen, belegte Bartels Platz acht. In der Qualifikation stieß er weiter als im Finale. Als es wirklich ernst wurde, verkrampfte er.

Bartels, Unteroffizier der Marine, flog auch ungern ohne Trainer zu Wettkämpfen. Es waren immer Kleinigkeiten, die Bartels belasteten, aber die Summe genügte, dass er sein Potenzial nicht voll ausschöpfte. Er ist immer noch nicht am Limit seiner Möglichkeiten, aber er ist weiter als früher. „Ich habe gelernt, dass ich mich nicht so stark ablenken lasse“, sagt Bartels. Zu John Godina sagt er zum Beispiel: „Der beeindruckt mich nicht sonderlich.“ Bemerkenswert. Godina hat vor kurzem 22,20 Meter gestoßen, er liegt damit auf Platz eins der Weltrangliste. „Das hat er in den USA gestoßen“, sagt Bartels, „wenn die US-Amerikaner nach Europa kommen, stoßen sie in der Regel einen Meter weniger.“ Warum das so sein könnte, sagt er nicht. Experten meinen, dass es an den scharfen Dopingkontrollen in Europa liegt. Das ist nicht Bartels’ Thema. „Ich will mich bei 21 Metern stabilisieren“, sagt er. Am Freitag beim Meeting in Gotha wuchtete er die Kugel auf 21,17 Meter, ist damit die Nummer vier in der Welt. Bei der WM in Helsinki peilt er 21,20 Meter an, „damit könnte man eine Medaille gewinnen“.

Aber Bartels will keine Erwartungen wecken. „Er hat doch noch nichts gewonnen“, sagt Bergmann. Bergmann arbeitet seit 15 Jahren mit Bartels zusammen, er sorgt dafür, dass sein Athlet langsam selbstständiger wird. Kürzlich startete Bartels in Sevilla. Er flog allein nach Spanien. Der Trainer blieb zu Hause, da waren Landesmeisterschaften, und er hat ja auch noch eine Trainingsgruppe. Bartels überstand den Solo-Trip gut. Mit 20,62 Meter wurde er Dritter.

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