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Sport: Der atemberaubende Aufstieg eines Fussballstars

Er wuchs auf in den Slums von Pernambuco und wurde zum überlegenen Ballkünstler. Am Freitag spielt Rivaldo mit dem FC Barcelona gegen Hertha BSCKlaus Rocca Rivaldo Vito Borba Ferreira, kurz Rivaldo genannt, ist sensibel.

Er wuchs auf in den Slums von Pernambuco und wurde zum überlegenen Ballkünstler. Am Freitag spielt Rivaldo mit dem FC Barcelona gegen Hertha BSCKlaus Rocca

Rivaldo Vito Borba Ferreira, kurz Rivaldo genannt, ist sensibel. Sehr sensibel sogar. Als die Kritiker über ihn herfielen, musste ihn eine Psychologin wieder aufrichten. Und als nicht er, sondern Zinedine Zidane zum besten Spieler der letzten Weltmeisterschaft gekürt wurde, glaubte er in seiner arg gekränkten Eitelkeit zu wissen, sie hätten den Franzosen nur gewählt, weil dieser für eine bestimmte Schuhfirma Reklame mache. Abergläubisch ist Rivaldo auch: Stets betritt er mit dem rechten Fuß zuerst den Rasen. Das wird er auch morgen so machen, wenn er mit dem FC Barcelona zum Freundschaftsspiel gegen Hertha BSC (20.15 Uhr, Jahn-Sportpark) aufläuft.

Rivaldos Geschichte liest sich wie eine, die man schon zu kennen glaubt. Da wächst einer in den Slums von Pernambuco auf, im Nordosten Brasiliens, wo die Ärmsten der Armen leben. Als der Junge 17 ist, wird sein Vater von einem Lastwagen überrollt und stirbt. Ihm selbst fallen aufgrund der Unterernährung die Zähne aus, die er angeblich am Strand verkauft, um von dem Erlös Essbares zu erstehen. Oder er verdingt sich als Eisverkäufer. Natürlich hat er, wie angeblich alle brasilianischen Jungen, eine große Liebe, den Fußball. Zwanzig Kilometer ist der Sportplatz entfernt. Ein Fahrrad hat er nicht, also muß er zu Fuß gehen. Beschwerlich, gewiss, aber der junge Mann weiß, was er will. Die Geschichte geht so aus wie die des Tellerwäschers. Oder Schuhputzers. Oder so ähnlich.

Paulista, Santa Cruz und Mogi-Mirim sind seine ersten Stationen. Dort macht man noch nicht das große Geld, wenn man gegen den Ball tritt. 1993, als er zum SC Corinthians SãPaulo wechselt, da beginnt sie, die steile Karriere, der Aufstieg des Geschundenen zum Umworbenen. Die Späher des Lokalrivalen SE Palmeiras werden auf ihn aufmerksam, holen Rivaldo in ihr Revier. Der wird mit dem Klub Landesmeister, erzielt in den Endspielen - ausgerechnet gegen Corinthians - drei der vier Treffer. Sein Trainer Luxemburgo lobt ihn in den höchsten Tönen: "Rivaldo ist kaltblütig, besitzt eine hervorragende Spielübersicht und ist einer der intelligentesten Spieler der Welt." Rivaldo ist der Star, ein gemachter Mann. Die Slums liegen weit hinter ihm, längst hängen Goldkettchen um den schlanken Hals und zieren dicke Ringe die grazilen Finger.

1996 gab es dann noch einmal einen bitteren Rückschlag. Im olympischen Halbfinale gegen Nigeria beim Stande von 3:1 für Brasilien eingewechselt, vertändelte Rivaldo den Ball, die Afrikaner schafften prompt den Anschluss und gewannen gar 4:3. Brasiliens Presse fiel über Rivaldo her, stempelte ihn zum alleinigen Sündenbock. Mario Zagallo, Brasiliens Meistermacher, zeigte ihm fortan die kalte Schulter. Rivaldo war nur noch ein Häufchen Unglück.

Nicht lange. Europa, genauer gesagt: Deportivo La Coruña, rief - und er ließ sich nicht zweimal bitten. Der Linksfuß wurde auf Anhieb ein Volltreffer. Obwohl eigentlich ein Mittelfeldspieler, schoss er Tor auf Tor, 21 an der Zahl. Fast so viele wie sein berühmter Landsmann Ronaldo. Den beerbte Rivaldo ein Jahr später, nahm dessen verwaisten Platz beim FC Barcelona ein. Zunächst mit mäßigem Erfolg. Gar einen Fehleienkauf nannte die einheimische Presse den 187 Zentimeter großen und 75 Kilogramm leichten Brasilianer. Nicht lange. Vor allem dank ihm wurde FC Barcelona Meister und Pokalsieger. Rivaldo belegte hinter Christian Vieri den zweiten Platz in der spanischen Torschützenliste. Hinter jenem Vieri, der kürzlich für die Wahnsinnssumme von 91 Millionen Mark von Lazio Rom zu Inter Mailand wechselte.

Auch Zagallo hat Rivaldo längst verziehen. In Frankreich, bei der letzten WM, sticht er den Superstar Ronaldo aus, wird mit Lob überschüttet. Bis zum Endspiel. Da versagt Rivaldo (27), wie die meisten Brasilianer. Und Zidane, Frankreichs Held, läuft ihm noch den Rang als bester WM-Spieler ab. Wieder einmal ist einer der ganz Großen der Fußballbühne leer ausgegangen. Rivaldo wartet noch immer auf den internationalen Titel. Der Supercup 1997 mit dem FC Barcelona hat ihm noch nicht genügt.

Vor einem Jahr, beim Spiel gegen Hertha, lief Rivaldo erst zur zweiten Halbzeit auf. Und schlenzte den Ball prompt mit einem sehenswerten Linksschuss ins lange Eck, unhaltbar für Gabor Kiraly, zum 1:1-Endstand. Der Mann mit der Nr. 10 hatte wieder einmal zugeschlagen. Die 10 verpflichtet. Auch Pelé trug sie, auch Rivelino, Zico, auch Socrates. Rivaldo ist ein würdiger Erbe des heiligen Trikots. © 1999

Klaus Rocca

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