zum Hauptinhalt

Sport: Der Bundesadler

Ein hochbegabter und etwas aufgeregter Torwart spielt heute gegen Russland

René Adler machte eine verräterische Handbewegung. Auf die Frage, ob er nervös sei wegen seines ersten Länderspieleinsatzes, war seine Hand schneller als sein Mund. Dem jungen Mann zuckte die Hand, er kratzte sich kurz hintern linken Ohr, dann sagte er: „Nö, nervös, das ist nicht der Fall.“ Adler versuchte sich zwar noch mit „gestiegener Anspannung“ irgendwie rauszureden, doch seine innere Erregtheit konnte er nicht verbergen. Die durchaus verständlich ist bei dieser Konstellation: Es ist WM-Qualifikation, es geht gegen Russland, und der 23-Jährige wird im größten Stadion des Landes das Tor der deutschen Fußball-Nationalmannschaft hüten. Für Adler ist es ein Debüt – für Deutschland ist es weit mehr.

Gut möglich, dass von diesem jungen Mann abhängen wird, ob der Weg für die Mannschaft von Joachim Löw zur WM nach Südafrika komplizierter als gedacht wird. „Wir sind ein bisschen unter Druck durch das Unentschieden in Finnland“, sagte Andreas Köpke. Der Bundestorwarttrainer war es, der gestern verkündete, was letztlich keine Überraschung mehr war. Nachdem sich Robert Enke im Training die Hand gebrochen hatte, wird Adler den Platz auf der vielleicht sensibelsten Position einer Fußballmannschaft einnehmen. Der Bremer Tim Wiese, der theoretisch auch in Frage gekommen wäre, wird wieder nur zuschauen. „Wir sind absolut überzeugt, dass René ein sicherer Rückhalt für uns sein wird“, sagte Köpke.

Mit dem Einsatz gegen Russland im ausverkauften Dortmunder Stadion wird eine Entwicklung beschleunigt, die längst als abgemacht galt. Nicht Enke, der gestern erfolgreich operiert wurde und mehrere Wochen ausfallen wird, sondern Adler gehört die Zukunft im deutschen Tor. Während der gebürtige Leipziger in der Bundesliga für Leverkusen glänzte, rückte er doch erst mit der Nominierung für die Europameisterschaft in diesem Sommer in den Blickpunkt der breiten Öffentlichkeit. „Die Euro war ein großer Erfahrungsgewinn für mich. Das Trainingsniveau ist höher als im Klub, weil hier die besten Spieler des ganzen Landes zusammenkommen“, sagte Adler. Da er sich zu Saisonbeginn eine Schulterverletzung zugezogen und vier Wochen zu pausieren hatte, trat zunächst der ältere Robert Enke das Erbe von Jens Lehmann an. Die drei Länderspiele seitdem bestritt Enke fehlerlos, doch Adlers Begabung ist unübergehbar. Er entspricht haargenau dem Anforderungsprofil, das Köpke für den Job in der Nationalelf so charakterisierte: „Wir wollen ein offensives Torwartspiel sehen. Er muss Angriffe einleiten, die Abwehr dirigieren können und fußballerisch stark sein.“

Der Vorteil liegt nun eindeutig bei Adler. Sollte er gegen Russland bestehen, wird er auch vier Tage später gegen Wales im deutschen Tor stehen. Allerdings sei damit keine endgültige Entscheidung in der Torwartfrage mit Blick auf die WM 2010 gefallen. Sagte jedenfalls Köpke. „Wir werden an unserer Vorgehensweise nichts ändern.“ Der Konkurrenzkampf im Tor sei so lange offen, bis sich das Trainergespann sicher fühle. „Wenn wir das Gefühl haben, das ist unsere Nummer eins, dann werden wir es sagen und werden ihr bedingungslos den Rücken stärken.“ Zwar gebe es weiterhin keinen festen Zeitpunkt dafür, gleichwohl sagte Köpke gestern, dass es auch „frühzeitig“ feststehen könne.

Die Mannschaft scheint von der jüngsten Entwicklung hoch angetan. „Ich freue mich für René“, sagte Michael Ballack. Auch wenn Adler über „einen Umweg“ dazu gekommen ist, so sei es „die Chance“ für ihn. „René hat alle Unterstützung und vollstes Vertrauen der Mannschaft“, sagte der Kapitän. Es klang beinahe so, als wollte Ballack seine Botschaft als verbale Injektion für einen leicht angespannten Adler verstanden wissen. Dass dieser sich gestern noch mehrere Male am linken Ohr kratzte, muss aber kein schlechtes Zeichen sein. Schließlich braucht ein Torwart gute Reflexe in seinen Extremitäten und kein flottes Mundwerk.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false