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Verwinkelt und denkmalgeschützt.

© dapd

Der deutsche Spielort Lemberg: Weltoffene Partisanen

In Lemberg kann man sich vor hilfsbereiten Volunteers kaum retten. Die Stadt, in der die Deutsche Nationalmannschaft im ersten Spiel auf Portugal trifft, zeigt sich tolerant, rechte Folklore gibt es trotzdem.

Die Frau vom Fernsehen will wissen, was die deutschen Fans so trinken. Hmm, Bier, was sonst? Die Frau vom Fernsehen ist ein bisschen enttäuscht, denn Bier gibt es doch auch überall sonst auf der Welt, „aber unser Kaffee ...“ Der beste der Welt! Schwören sie in Lemberg, na ja, vielleicht nach Wien, aber die Österreicher sind bei der EM bekanntlich verhindert und können deswegen nicht protestieren.

Heute kommen die Deutschen nach Lemberg, das macht hier keinen großen Unterschied zu den Österreichern, denen sich die Galizier im äußersten Westen der Ukraine aus alten k.u.k. Zeiten immer noch verbunden fühlen. Auf dem Swobody Prospekt, dem Freiheitsboulevard, proben sie schon mal ein bisschen für die Europameisterschaft. Links das Militär, rechts das Volk, auffällig viele Frauen, auffällig viele tragen das blonde Haar zu Zöpfen geflochten, wie es die hierzulande berühmteste Ukrainerin zu tragen pflegt. Auffällig ist außerdem, dass die jungen Leute alle T-Shirts tragen in einem Gelbton, der leicht ins Orange abdriftet, ein Mädchen hat sich die Fingernägel in der Revolutionsfarbe lackiert.

Nein, nein, kein politisches Statement, sagt Melania, sie ist 16 Jahre alt und verdingt sich als eine von knapp 1000 freiwilligen Helferinnen, die im Auftrag der Stadt durch die verwinkelten Straßen wuseln. Es ist schwer, den Lemberger Volunteers zu entkommen. Wer eine Sekunde zu lang und einen Hauch zu unentschlossen auf eines der vielen schönen alten Gebäude in der denkmalgeschützten Altstadt schaut, hat sofort zwei, drei der gelb-orangen Menschen an seiner Seite. Kann ich Ihnen helfen? Wo wollen Sie hin? Soll ich etwas übersetzen? Und wer nicht schnell genug weg ist, wird gleich weitergeleitet zum Interview mit der Frau vom Fernsehen.

Hier trägt auch die Antike Fankluft.
Hier trägt auch die Antike Fankluft.

© dpa

Für die Fanzone haben die Lemberger wie selbstverständlich ihren Prachtboulevard frei geräumt. Das Fußballvolk feiert auf dem Swobody Prospekt, zwischen Oper und Grand Hotels, deren Gäste sich wundern werden über den Lärm, den die der Kaffeehaustradition eher ratlos gegenüberstehenden Fremden so anrichten können. Das Los hat es gut mit den netten Lembergern gemeint – und die zahlungskräftige Kundschaft aus Deutschland, Holland, Portugal und Dänemark vorbeigeschickt. Melania sagt, es sei ein Segen, dass die Deutschen nach Lemberg kommen. Melania will in Freiburg studieren und freut sich darauf, ihre Sprachkenntnisse am lebenden Objekt zu verbessern.

Ohnehin sehen sie sich in Lemberg gern in der kaiserlich-königlichen Tradition und stören sich überhaupt nicht daran, wenn deutsche Touristen statt des für ihre Zungen komplizierten Namens Lwiw eben von Lemberg sprechen. „Das ist unsere Geschichte, darauf sind wir stolz“, sagt der Bürgermeister Andriy Iwanowitsch Sadovyi. Ein unauffälliger und doch volkstümlicher Mann, auch die Volunteers dürfen ihn mit Andriy Iwanowitsch anreden. Für drei EM-Vorrundenspiele hat seine Verwaltung einen neuen Flughafen und ein neues Stadion bauen lassen. Die vier historischen Statuen rund um das Rathaus tragen blau-gelbe Leibchen. Ein bisschen Lokalpatriotismus muss schon sein, auch wenn die ukrainische Mannschaft weit weg in Kiew und Donezk spielt.

Der rechtsextremen Swoboda-Bewegung ist im Westen des Landes ein ernst zu nehmender Faktor

Der freundliche Herr Sadovyi gehört keiner Partei an, was ihn für politisch sensible Beobachter aus dem Ausland schon mal befreit von dem Verdacht, er könnte was zu tun haben mit den Leuten der rechtsextremen Swoboda-Bewegung. Die selbst ernannte Freiheitspartei fällt bei den Wahlen des ukrainischen Parlaments regelmäßig durch, aber im Westen des Landes ist sie ein ernst zu nehmender Faktor. Jeder dritte Abgeordnete im Lemberger Gebietsparlament ist ein Swoboda-Mann. Lembergs braune Elite wettert gern gegen Ausländer, bevorzugt gegen Russen, und sie beruft sich dabei auf Stepan Bandera, eine Art historischen Popstar des Partisanenkampfes im Zweiten Weltkrieg. Der Lemberger Volksheld Bandera kämpfte für eine unabhängige Ukraine, und weil er dafür auch mit den Nazis paktierte, ist er im russisch geprägten Osten des Landes ähnlich beliebt wie früher die Herren Hitler oder Göring.

Bildergalerie: Die Fans in Lemberg

Für Touristen wird dieser Teil der Lemberger Geschichte in bester City-Lage nachgespielt. Im Restaurant Kryiwka, der Name lässt sich am besten mit „Unterschlupf“ oder „Partisanennest“ übersetzen. Wer an die Tür klopft, wird von einem Hünen in Militärdrillich nach der Parole gefragt, sie lautet: „Ukraini slawa!“ Ruhm der Ukraine! Der Mann im Drillich antwortet: „Herojam slawa!“ Ruhm den Helden! „Ein bisschen gewöhnungsbedürftig, aber da steht ihr Touristen doch drauf“, sagt Melania.

Die Speisekarte des Kryiwka zieren Gerichte wie „Gauleiter’s Dinner“, an den Wänden hängen Bilder von Militärs und, natürlich, von Stepan Bandera. Banderovcy, also: Bandera-Leute – das ist in Donezk oder Charkiw ein Schimpfwort. In Lemberg schmücken sie sich gern damit, besonders beim FC Karpaty, dem örtlichen Fußballklub, dessen Fans nicht gerade im Verdacht linksliberalen Gedankenguts stehen.

Bildergalerie: Die EM-Stadien

Andriy Iwanowitsch Sadovyi sagt, dass er dem FC Karpaty natürlich alles Gute wünsche, „es ist der Verein meiner Stadt, aber als Bürgermeister steht es mir nicht zu, Fan eines einzelnen Klubs zu sein. Ich unterstütze alle Mannschaften hier, und vor allem bin ich ein Freund des schönen Spiels.“ Das ist diplomatisch perfekt formuliert und außerdem ganz im Sinne der lokalen Politik. Der FC Karpaty ist Mieter des neuen Stadions, das Lemberg auf der grünen Wiese am Stadtrand für die EM gebaut hat. 150 Millionen Euro hat es gekostet und fasst 35 000 Zuschauer. Ungefähr sieben Mal so viele, wie Woche für Woche zum FC Karpaty kommen.

Auch das neue Flughafengebäude wirkt ein wenig überdimensioniert, es liegt gleich neben dem alten, einem im schönsten Zuckerbäckerstil errichteten Palast aus den fünfziger Jahren. Am Tag, bevor die Deutschen kommen, verlieren sich eine Handvoll über den Tag verteilte Flüge auf der riesigen Anzeigetafel. Auf der Rollbahn dösen Maschinen der Fluglinien Donbass und Moldavian. Das neue Terminal hat wie das neue Stadion um die 150 Millionen Euro gekostet. Ein Irgendwas aus Glas und Stahl. Ein auf der galizischen Wiese gelandetes Ufo, wie diese Europameisterschaft. In acht Tagen ist alles wieder vorbei. „Und die deutschen Fans trinken wirklich nur Bier?“, fragt die Frau vom Fernsehen.

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