zum Hauptinhalt

Sport: Der Eine für alle

Mehmet Scholl spielt morgen zum letzten Mal in der Bundesliga – das Ende einer Karriere mit wechselndem Image

„Grüß Gott“, sagt Mehmet Scholl, und dann wird er aufgefordert, sich umzusehen. Mehmet Scholl sieht sich also um. „Neue Bilder“, sagt er. An der Wand im kleinen Presserondell des FC Bayern München hängen Fotos von Mark van Bommel, Lukas Podolski und Bastian Schweinsteiger. Die Bilder hängen da schon seit vielen Monaten. Nun ja, sagt Mehmet Scholl, zumindest „neu für mich“. Denn man könnte ja meinen, dass ein Mann, der 15 Jahre beim FC Bayern München gespielt hat, der acht Mal mit den Bayern Meister wurde, der 2001 mit dem Verein die Champions League gewann, ein Mann, der genug Vertrauen zur Vereinsführung hatte, dass er seine Arbeitsverträge in den letzten Jahren gar nicht mehr mit nach Hause nahm, sondern beim Geschäftsführer deponierte – man könnte also meinen, dass so ein Mann alles kennt, was es beim FC Bayern München gibt.

Nur das Presserondell, das kennt er praktisch nicht. Scholl, von dem sein Trainer Ottmar Hitzfeld sagt: „Mehmet ist ein Stück Bayern München, er wird einmal mit den großen Namen verglichen werden, die bei diesem Verein spielten“, der hat irgendwann aufgehört, Pressekonferenzen zu geben.

Irgendwann wollte er sich auch nicht mehr auf Titelseiten von Jugendmagazinen ablichten lassen. Er sagt: „Wenn dir Leute in einer Bar sagen, wann du nach Hause zu gehen hast“ – das sei geschehen, als er noch viel häufiger in den Medien war –, „dann musst du dir halt überlegen: Willst du dein Leben leben, oder willst du Everybody’s Darling sein.“

Als er die 30 überschritten hatte, entschied sich Scholl dafür, sich nicht mehr von äußeren Einflüssen leiten zu lassen. Er hatte „keine Lust mehr auf Sprüche“. Für solche war er lange Zeit beliebt gewesen. „Lieber ewiges Talent als gar kein Talent“ ist einer davon, ein anderer, nach dem Gewinn der Europameisterschaft 1996: „25 Jahre alt und schon keine Ziele mehr.“

Mehmet Scholl, das ist eine der Pointen an dieser Figur, hat beides ganz gut hingekriegt: beliebt zu sein – in Cottbus, wo er zuletzt von den gegnerischen Fans gefeiert wurde, hat man gesehen, dass er das ist – und trotzdem nicht alles mitzumachen. Er ist als Fußballer (und die ihn kennen, sagen: auch als Mensch) gut darin, seine eigene Linie durchzuhalten. Wenn ein Zehnjähriger ein Training mit den Bayernspielern gewann, dann war es Scholl, der nach dem Training auf dem Platz stand und mit dem Kind den Ball hin und her kickte. Aber sein Leben mit der Öffentlichkeit zu teilen, hat er in den letzten Jahren erfolgreich verweigert. „Wenn heute ein Kind seine Mutter fragt: Mama, wer is’n das?, und die Mutter muss grinsen, dann weiß ich schon, was los ist“, sagt Scholl. Das ist dann los: Das ewige Talent ist, erstens, selbst älter geworden; mit 36 ist man vielleicht automatisch kein Kinderstar mehr. Und er hat es, zweitens, tatsächlich geschafft, sich rar zu machen.

Nun aber, da seine Karriere endet, nimmt er den Trubel noch einmal auf sich und spricht – über sich. „Ich durfte viele Tiefen durchmachen, auch viele Höhen“, sagt er. „Und die Tiefen waren tiefer als die Höhen hoch waren.“ Die Liste seiner Verletzungen etwa, deren Höhepunkt mit einem Peroneussehnenriss im Sprunggelenk erreicht war, der ihn die Teilnahme an der Weltmeisterschaft 2002 kostete, umfasst eine Vielzahl an Einträgen. „Aber alles in allem möchte ich keine einzige Situation missen“, sagt Scholl. Er ist nie ein weltberühmter Fußballer geworden, obwohl ihm viele das zugetraut hätten; er habe, sagen Menschen, die ihm nahe stehen, vielleicht einen Teil seines Talents nicht genutzt.

Aber Scholl sagt: „Ich habe schon viele richtige Schritte gemacht.“ Sein größter Erfolg sei es, bei all den Titeln und trotz der vielleicht ausgelassenen Chance, zu den größten Fußballern aller Zeiten aufzusteigen, vom Karlsruher SC zum FC Bayern gegangen zu sein und dort so viele Jahre durchzuhalten. 15 Jahre sind es geworden beim FC Bayern. 2001 hatte Scholl schon einmal seinen Rücktritt für 2004 angekündigt, und seit jenem Jahr gibt die medizinische Abteilung des Klubs keine Prognose mehr darüber ab, wie lange Scholl vielleicht noch spielen kann. Jetzt hat er doch ein paar Jährchen länger durchgehalten. „In diesem Haifischbecken nicht gefressen zu werden, diese Hartnäckigkeit“, das an sich sei doch schon ein Erfolg. „Die Menschen hängen außerdem viel zu viel in der Vergangenheit“, sagt er. „Ich bin auf einem guten Weg, zufrieden zu sein.“

Die Vergangenheit – das ist auch die Zeit, in der es angeblich noch „Straßenfußballer“ gab und nach der die Fans eine scheinbar ewige Sehnsucht haben. Jede Einwechslung des maladen Scholl war schon seit einigen Jahren eine Verheißung, diese Zeit für ein paar Minuten zurückzuholen. „Er war ein genialer Fußballspieler, der ein Publikum mit seinen Tricks verzaubern konnte“, sagt Ottmar Hitzfeld und wiederholt damit das, was Fans, Mitspieler, Gegner und überhaupt jeder schon immer gesagt hat.

In den Porträts in den Archiven sind keine negativen Aussagen anderer über Scholl zu finden, obwohl er selbst in seiner Karriere mit so einigen wie Bundestrainer Berti Vogts oder den Bayern-Coaches Erich Ribbeck und Otto Rehhagel Probleme hatte und diese auch öffentlich äußerte. Doch wer den Liebling aller Fußballfreunde kritisiert hätte, wäre wohl mit einem schweren Imageschaden bestraft worden. Eine Initiative, die vor der WM 2006 noch einmal die Berufung Scholls in die Nationalmannschaft forderte, sammelte innerhalb kurzer Zeit 175 000 Stimmen. Aber Bundestrainer Jürgen Klinsmann ließ sich nicht erweichen, und so hat Scholl in seiner Karriere nie an einer Weltmeisterschaft teilgenommen.

Am Samstag steht gegen den FSV Mainz 05 sein 392. Einsatz in der Bundesliga und sein letztes Pflichtspiel an. Es ist eines der sportlich belanglosesten Bundesligaspiele in der Geschichte des FC Bayern. Doch es wird ein Mehmet-Scholl-Spiel werden. Er wird, zum ersten Mal nach einem Jahr, von Beginn an auf dem Platz stehen und ihn wohl nach etwa 50 Minuten verlassen. Er sagt: „Ich weiß jetzt noch nicht, ob die Gefühle mit mir durchgehen sollen.“ Vielleicht, vielleicht auch nicht; aber sicher sei, dass er danach nicht wehmütig zurückschauen werde: „Ich war vor einem Jahr noch nicht so weit zu sagen: Ich möchte nie mehr laufen. Aber jetzt ist es soweit. Ich gehe, und ich gehe vor allem gerne.“

Derzeit wird ein Film über ihn gedreht; „er wird in kleinen Kinos laufen“, sagt Scholl, „oder wie heißen die Pornokinos?“ Und voraussichtlich im August wird es auch noch ein Abschiedsspiel geben, bevor er endgültig aufhört, Fußball zu spielen. Scholl sagt: „Das wird schon ein ernstes Spiel, da will doch keiner sehen, wie jemand, mit dem ich vor 15 Jahren zusammen spielte, einen Fallrückzieher macht.“ Es wird sportlich dabei um nichts gehen, und daher sagt Scholl: „Da geht’s noch mal um alles.“ Es folgt, natürlich, ein zahnreiches Grinsen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false