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Sport: Der einsame Fußballspieler

Jörg Albertz verließ China, weil er keine Lust mehr auf manipulierte Ergebnisse hatte

Eine Viertelstunde war noch zu spielen im „Wulihe“-Stadion, als sich die Spieler plötzlich nicht mehr bewegten. Die Kicker des Erstligisten Peking Hyundai standen still auf dem Rasen, manche hatten sich Trainingsjacken übergezogen. Der Schiedsrichter forderte sie auf, weiterzuspielen, die Zuschauer buhten. Doch die Spieler blieben stehen. Sie wollten gegen einen ihrer Meinung nach unberechtigten Elfmeter protestieren. Als zehn Minuten später immer noch kein Ball rollte, pfiff der Schiedsrichter das Spiel entnervt ab. Das Ereignis in der Stadt Shenyang Anfang Oktober war der erste Spielboykott in der zehnjährigen Geschichte der chinesischen Fußballliga. Es war aber nicht das erste Mal, dass Fußballspieler in China ihrer Arbeit nicht pflichtgemäß nachgingen. Bei Shenhua Schanghai zum Beispiel war dies öfter der Fall. Jörg Albertz weiß das inzwischen.

Nach zwei Jahren hatte der frühere Nationalspieler genug vom chinesischen Fußball – er kehrt nach Deutschland zurück. „Das macht keinen Spaß mehr, wenn sich die Mitspieler auf einmal nicht mehr bewegen. Anfangs wusste ich gar nicht, warum“, erzählt Albertz. In seiner ersten Saison hatte Albertz mit Shenhua die Meisterschaft gewonnen. „Ich weiß aber nicht, ob unser Klub in meinem ersten Jahr auch Spiele gekauft hat. Das ist mir gar nicht aufgefallen.“ Erst nach und nach wurde ihm bewusst, dass hinter unerklärlichen Schiedsrichterentscheidungen und schlechten Leistungen der Fußballer System steckte. Ein dichtes Netz aus Korruption, Missmanagement und Glücksspiel hat sich über Chinas Liga gelegt. „Das Schlimme ist: Keiner kann etwas beweisen“, sagt Albertz.

Mittlerweile drohen mehrere chinesische Klubs mit einem Boykott der Liga. Funktionäre und Fußballbosse treffen sich zu nächtlichen Krisensitzungen. „Oktoberrevolution im chinesischen Fußball“, titelte dazu das Nachrichtenmagazin „Xinwen Zhoukan“. In den zwölf Profiklubs herrscht Unzufriedenheit über den Chinesischen Fußballverband (CFA) und dessen Führung der Liga. „Wir können wirtschaftlich kaum überleben“, klagt Wang Po, Manager vom Erstligaklub Shanxi Guoli. Kaum einer der Vereine schafft es, den von der CFA geforderten Mindestumsatz von 30 Millionen Yuan (drei Millionen Euro) zu erwirtschaften. Da bleibt vielen offenbar nur die Bilanzfälschung. Zudem zahlen einige Klubs ihren Spielern seit Monaten keine Gehälter mehr. Medienberichten zufolge sind viele Profis in illegale Wettgeschäfte involviert, mit denen sie sich ein Zubrot verdienen. Sie wetten auf das Spiel ihrer Mannschaft und spielen so, dass dieses Ergebnis eintrifft. Mehrmals wurden Schiedsrichter wegen Korruption überführt.

Die Fußballfunktionäre wollten den Protest der Klubs zunächst mit Strafen unterdrücken. Nach dem Spielboykott verhängte die CFA eine Geldbuße sowie einen Abzug von drei Punkten gegen Peking Hyundai. Als jedoch immer mehr Klubs protestierten, schwenkte die CFA um und erklärte die Schiedsrichterentscheidung von Shenyang für falsch. Zu spät. „Wir haben den Boykott nicht nur aus einem Impuls heraus gemacht“, sagt Peking Hyundais Manager Yang Zuwu. „Wir wollen mehr Fairness im chinesischen Fußball.“

Die Klubs werfen dem CFA vor, der Liga durch Misswirtschaft und mangelnde Kontrollen zu schaden. Die durchschnittlichen Zuschauerzahlen in den Stadien seien von 20 000 in der Saison 1997/98 auf die Hälfte gesunken. Strittig ist auch die Verteilung von Fernseh- und Sponsorengeldern. Die Klubs fordern vom CFA eine komplette Offenlegung der Finanzbücher. Sollte er sich weigern, wollen sie vor Gericht ziehen.

Die Turbulenzen beeinträchtigen auch Chinas Chancen als künftiger Ausrichter einer WM. Eigentlich galt das Land als starker Kandidat für die Endrunde 2018. Schon heute gibt es in China 300 Millionen Fußballfans, die rasant wachsende Wirtschaft macht das Land zudem für Sponsoren interessant. Um realistische Chancen zu haben, muss sich aber auch die Qualität des Fußballs verbessern. Die ausländischen Trainer und Spieler wie Albertz, die seit Anfang der Neunzigerjahre für viel Geld eingekauft wurden, haben das Niveau der Liga kaum gehoben. Bei der WM 2006 in Deutschland wird die chinesische Nationalelf nicht dabei sein, weil sie in der Qualifikation überraschend gegen Kuwait verlor. 2002 schaffte sie zwar die Qualifikation zur WM-Endrunde, schoss dort jedoch kein einziges Tor. Der erwartete Durchbruch blieb aus.

„Ich schalte weiter, wenn ich im Fernsehen chinesischen Fußball sehe“, gestand der Journalist Chong Zi vor kurzem in „China Daily“. Das wird Jörg Albertz nun wohl ähnlich gehen. Künftig wird er aber nicht mehr in diese Verlegenheit kommen. Der 34-Jährige wird in der Zweiten Bundesliga für Greuther Fürth spielen. Da verdient er zwar weniger Geld, kann sich aber zumindest der Unterstützung seiner Mitspieler sicher sein.

Harald Maass[Peking]

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