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Sport: Der Fußball des kleinen Bergmannes

Aue ist der Stolz des Erzgebirges – und als Überraschungsteam der Zweiten Liga das gallische Dorf des Profigeschäfts

Berlin - Hmm, Aue, da war doch was. „Ich hab mal gegen die gespielt“, sagt Markus Babbel, aber wann war doch das gleich, „irgendwann zwischen 1995 und 2000, zu meiner Zeit bei Bayern München“. Genauer: Am 4. August 1998. 20 000 Zuschauer waren dabei im Erzgebirgsstadion, der FC Bayern gewann 1:0, aber der Gegner hieß nicht Aue, sondern Bayer Leverkusen. Markus Babbels persönliche Kontakte mit der kleinen Macht aus dem Erzgebirge beschränken sich auf ein Spiel im eher unwichtigen Ligapokal.

Aber irgendwas muss haften geblieben sein. Aue als Symbol für Fußball im kleineren Maßstab. Als Babbel im Mai dieses Jahres seinen Job als Trainer von Hertha BSC antrat, rief er den Klubmitgliedern im ICC zu: „Ich will, dass wir gegen Osnabrück, Aue und wie sie alle heißen in der Zweiten Liga durch Leistung und Engagement 76 000 Zuschauer ins Stadion bekommen.“ So viele werden es am Sonntag wahrscheinlich nicht sein, aber doch immerhin um die 50 000, wenn der FC Erzgebirge Aue als Tabellenführer im Olympiastadion antritt. Herthas Marketingstrategen haben zum Spiel dafür ein Plakat entworfen mit dem Slogan: „Wir haben mehr Fans als ihr Einwohner!“

Sie haben aber mehr Punkte, und wenn die Großkopferten das rebellische Dorf noch weiter piesacken, dann klafft am Sonntagnachmittag im Tabellenbild vielleicht eine noch größere Lücke zwischen Aue und Berlin. Die Erzgebirgler werden wahlweise Schalke des Ostens oder Veilchen genannt. Beide Namen sind aus historischen (Schalke!) und regionalen (Tennis Borussia!) nicht geeignet zum Entstehen einer tiefen Freundschaft. Im Lößnitztal aber haben sie im Augenblick ohnehin andere Sorgen. Der Erfolg hat den Verein ein wenig überrascht, ja in eine seltsam unangenehme Lage gebracht. Jeden der bislang neun Saisonsiege lässt sich die Mannschaft gut bezahlen. Im Sommer hatte der Aufsteiger seinen Prämienetat für die Saison bilanziert, doch schon nach 15 von 34 Spieltagen haben sie 31 Punkte. Da der FC Erzgebirge mit 1,8 Millionen Euro verschuldet ist und an Prämien zusätzliche 500 000 Euro dazukommen könnten, ordneten die Wirtschaftsprüfer von der DFL vorsorglich die Hinterlegung einer Bürgschaft an. Für ein paar Tage geisterten wirtschaftliche Tartaren-Meldungen durchs Land, aber schon zu Beginn der Woche gab der Aufsichtsrat des Klubs Entwarnung.

Die Saison ist durchfinanziert, und sportlich wird sie für den FC Erzgebirge wohl in jedem Fall zu einem Erfolg werden. Genau genommen ist schon die exponierte Stellung im Fußballland Sachsen ein Erfolg für sich. Nicht der einstige DDR-Vorzeigeklub Dynamo Dresden, nicht die Großstadtvereine Chemnitzer FC und FSV Zwickau repräsentieren den Freistaat im bezahlten Fußball. Da auch das Brauseprojekt aus Leipzig noch ein paar Jahre in den Niederungen des Amateurfußballs vor sich hat, ist einstweilen ein Städtchen aus dem abgeschiedenen Erzgebirge Sachsens Nummer eins.

Das ist sportlich schwer zu erklären und wirtschaftlich eigentlich gar nicht. „Wir spielen um die Existenz, die anderen um den Luxus“, hat Aues albanischer Stürmer Skerdilaid Curri mal gesagt. Die schwer zugänglichen Täler im Erzgebirge haben schon bessere Tage gesehen. Zum Beispiel nach dem Zweiten Weltkrieg, als Aue einen Ruf hatte als ostdeutsche Boomtown. Weil Profit in der DDR-Industrie eine eher untergeordnete Rolle spielte, ließen die Wirtschaftslenker dort produzieren, wo die Arbeitskräfte wohnten. Auch in den engen Tälern des Erzgebirges, die einst von Bergleuten besiedelt wurden.

Aue war die Stadt der Wismut, einer deutsch-sowjetischen Aktiengesellschaft, die Uran aus den Minen des Erzgebirges förderte. Bergleute aus ganz Deutschland kamen ins Erzgebirge, und Aue hatte zeitweise knapp 40 000 Einwohner. Heute ist es nicht mal die Hälfte. Werner Bräunigs zu DDR-Zeiten verbotener Roman „Rummelplatz“ erzählt von dieser Zeit. Von schwerer Arbeit, rohen Sitten und dem Amüsement, zu dem neben den Ausschweifungen auf dem Rummelplatz auch der Fußball zählte.

In den ersten zwanzig DDR-Jahren war das westliche Sachsen eine Fußball-Hochburg, mit Erstligamannschaften aus Aue, Meerane, Zwickau, Karl-Marx-Stadt – die Dorfmannschaft von Empor Lauter wurde wegen des allgemeinen Gedränges an die Küste delegiert und in Hansa Rostock umgetauft. Wismut Aue gehörte von 1951 bis 1990 der DDR-Oberliga an, wurde dreimal Meister und spielte noch in den Achtzigern im Uefa-Cup. Nach dem Ende der DDR zog sich die UdSSR aus dem ostdeutschen Bergbau zurück und die Wismut ging in den Besitz der Bundesrepublik über. Für den Fußball war kein Geld mehr da. Der Klub stand vor dem Zusammenbruch, schaffte aber mit dem bescheidenen Kapital regionaler Betriebe ein Comeback im bezahlten Fußball und reist jetzt als Spitzenreiter nach Berlin. Markus Babbel sagt, das mit dem Dorf interessiere ihn nicht weiter, „Tatsache ist, dass die auf Platz eins stehen, und sie stehen da verdient, weil sie die meisten Punkte gesammelt haben“.

Alles weitere folgt am Sonntag.

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