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Sport: Der gekaufte Aufstieg

Herthas Gegner Ameri Tiflis hat eine kurze, aber interessante Vereinsgeschichte

Berlin - Vor elf Jahren gingen in Tiflis die Lichter aus. Der Grund dafür war das EM-Qualifikationsspiel zwischen Deutschland und Georgien. Um die Energieversorgung für die Flutlichtmasten des Nationalstadions zu gewährleisten, ließen die „Oberen“ allen Haushalten die Stromzufuhr abschalten. Die Deutschen gewannen 1:0, die Georgier feierten trotzdem. Schließlich war man in Georgien überzeugt, der nationale Fußball werde schon bald wieder an alte Glanzzeiten anknüpfen. Etwa an den Erfolg von Dynamo Tiflis, das 1981 den Europapokal der Pokalsieger in Düsseldorf gegen Carl Zeiss Jena gewann. Mittlerweile ist man realistischer. Der Strom fällt immer noch regelmäßig aus, und die Stars spielen in Italien, Deutschland, Russland oder den Niederlanden. Auch weil selbst in der höchsten georgischen Liga sichere Gehälter oder vernünftige Trainingsmöglichkeiten nicht selbstverständlich sind.

Dem FC Ameri Tiflis, der morgen zu Hause sein Rückspiel gegen Hertha BSC in der Uefa-Cup-Qualifikation bestreitet, geht es da noch mit am besten. Der Verein wird gesponsert von Progetra, einem schweizerisch-russischen Erdöl-Logistikkonzern. Progetra-Chef Konstantin Gogelija, Georgier mit russischem Pass, ist gleichzeitig Miteigentümer des noch jungen Retortenklubs FC Ameri. Sein Klub kam auf der Überholspur in die höchste georgische Spielklasse. Statt sich zunächst unter Amateurmannschaften zu behaupten, kaufte sich der damals gerade frisch gegründete Klub 2002 mit Erlaubnis des georgischen Fußballverbandes einen Platz in der zweiten Liga, der aufgrund der Insolvenz eines anderen Teams frei geworden war. Zwei Jahre später gelang dann auf sportlichem Wege der Aufstieg ins Fußballoberhaus. Der Pokalsieger des vergangenen Jahres ist mit drei Siegen in die Saison gestartet. Am Wochenende gelang sogar ein 2:0-Sieg gegen Serienmeister Dynamo.

Die Zukunft des FC Ameri liegt im eigenen Nachwuchs. Dies bestätigt auch Klaus Toppmöller, seit Anfang des Jahres Nationaltrainer Georgiens: „Sie haben eine Reihe junger, technisch gut ausgebildeter Spieler.“ Ameris Fußballschule ist eine von fünf Talentschmieden in Tiflis. Fußballschulen erleben in Georgien gerade einen Boom. Angesichts der verheerenden wirtschaftlichen und politisch instabilen Lage im Lande sehen viele Familien in einer möglichen Fußballkarriere ihrer Kleinsten die einzige Möglichkeit für einen gesellschaftlichen Aufstieg. Denn während der Nachwuchs Neureicher allein für den Eintritt in einen angesagten Club mit aus New York eingeflogenen DJs 20 US Dollar zahlt, müssen Beamte mit dieser Summe einen Monat lang auskommen und im schlimmsten Fall noch ihre Verwandten in den sprichwörtlich brach liegenden Dörfern ernähren. In Unterführungen und in der U-Bahn von Tiflis trifft man noch nach 22 Uhr teils sechsjährige Knirpse, die für umgerechnet ein paar Cent Batterien, Taschentücher oder Plastiktüten verkaufen.

Zu den wenigen Gewinnern in Georgien gehören die Minioligarchen aus der Energie- und Telekommunikationsbranche. Diese zeigen ihr Geld gerne in den in Tiflis ansässigen internationalen Nobelhotels und Boutiquen. Prestige für den kleineren Geldbeutel bringt aberwitzigerweise ein Besuch bei McDonald’s, dem Konzern, der sich schon zu Wendezeiten die teuersten Plätze in Tiflis gesichert hat. Die dünn gesäte Mittelschicht füllt derweil die günstigeren und schmackhafteren einheimischen Restaurants oder Cafés in der Altstadt von Tiflis. Zwischen den Häusern mit den wundervoll geschnitzten Balkonen sitzen dort die alten Männer beim Schachspiel – übrigens dem eigentlichen Volkssport in Georgien.

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