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Sport: Der geplante Traum

Mit Akribie und großer Geste bereitet sich Peking auf Olympia 2008 vor – die ganze Stadt ist eine Baustelle

Wie ein riesiges Vogelnest ragen die ineinander verflochtenen Stahlbalken in den grauen Himmel. In luftiger Höhe sieht man Arbeiter, die, mit Seilen befestigt, an der Außenwand hängen und Eisenteile verschweißen. Zwei Jahre vor den Olympischen Sommerspielen in Peking nimmt Chinas neues Nationalstadion Form an. „Bis Ende des Jahres sind wir mit den äußeren Stahlbauten fertig“, sagt Zhang Hengli, Vizedirektor der künftigen Betreiberfirma des Stadions. Im Winter 2007 sollen die Bauarbeiten an dem von den Schweizer Stararchitekten Herzog & de Meuron entworfenen Prachtbau abgeschlossen sein.

Noch einmal 2000 Arbeiter sind im Norden von Peking im Einsatz – sie arbeiten in drei Schichten rund um die Uhr. Die meisten Männer sind Wanderarbeiter aus den Provinzen. Ein Plakat soll sie anspornen: „Schneller, höher und stärker“. Auf den anderen Olympiabaustellen in der chinesischen Hauptstadt sieht es in diesem Sommer ähnlich aus. Überall wird gegraben, geschweißt und betoniert. Für die Wettkämpfe im August 2008 werden in Peking und den anderen Ausrichterstädten 72 Stadien und Trainingsstätten neu gebaut oder renoviert. Derzeit schuften 17 000 Arbeiter an den Baustellen.

Ganz Peking ist eine Baugrube. 8000 Großbaustellen gibt es im Stadtgebiet. Riesige Bagger graben neue U-Bahntunnel. Bürohochhäuser und Apartmentsiedlungen wachsen in die Höhe. Ein neues Flughafen-Terminal ist im Bau. Nachts fallen Tausende von Arbeitern in die Altstadt ein, um ganze Straßenzüge neu zu asphaltieren. Um Platz für die neuen Betonburgen zu schaffen, reißen sie die historischen „Hutong“-Gassen ab. Weil weder Industrieabgase noch Luftverschmutzung die Spiele stören sollen, verlegt die Stadt alle Fabriken ins Umland.

Was das alles kostet, weiß niemand. Nach offiziellen Angaben betragen die Investitionen für Stadien und Infrastruktur 16 Milliarden US-Dollar. Die wirklichen Kosten dürften mehr als doppelt so hoch sein. Die Spiele in China werden die mit Abstand teuersten in der olympischen Geschichte. Allein für das Nationalstadion, in dem am 8. 8. 2008 (ein für Chinesen besonders glückliches Datum) 91 000 Zuschauer die Eröffnungszeremonie verfolgen werden, sind offiziell 3,13 Milliarden Yuan veranschlagt, umgerechnet 300 Millionen Euro. Die futuristische Schwimmhalle nebenan, die mit einer neuartigen Kunststoffhaut aus der Weltraumtechnik verkleidet wird, kostet 100 Millionen Euro. „Wir achten auf strenge Qualitätskontrolle“, erklärt der Vizebauleiter der neuen Schwimmhalle, Wang Wubin. Für Chinas Bauwirtschaft, die sich eher durch Geschwindigkeit als durch Qualität auszeichnet, ist das nicht selbstverständlich. Neue Hochhäuser müssen oft nach wenigen Jahren grundsaniert werden, weil die Verarbeitung so schlecht ist. In manchen Brücken ist so wenig Zement, dass man sie gleich nach Fertigstellung wieder abreißen muss.

Bei den Spielen 2008, mit denen China sich der Welt als neue Wirtschaftsgroßmacht präsentieren will, soll die Qualität stimmen. Vergangenen Monat wurde überraschend der für die Olympiabauten zuständige Vizebürgermeister Liu Zhihua wegen Korruptionsverdachts entlassen. Nachdem im Frühjahr die Konsultativkonferenz, eine Art nationales Beratergremium, vor einer Verschwendung bei den Ausgaben für die Spiele gewarnt hatte, hat Peking die Ausgaben für die zum Teil architektonisch spektakulären Sportpaläste gestutzt. Beim Nationalstadion fiel das Schiebedach aus Stahl weg, was rund 40 Millionen Euro einspart.

Im Gegensatz zu Athen und anderen früheren Ausrichterstädten wird Peking wohl keine Schwierigkeiten haben, alle Bauprojekte rechtzeitig vor dem Einzug der Olympioniken fertig zu stellen. Im Notfall werden die Bauleiter einige Zehntausend Wanderarbeiter zusätzlich anheuern – in China ist das kein Problem. Eine Delegation des Internationalen Olympischen Komitees unter Leitung des Radsportfunktionärs Hein Verbruggen äußerte sich bei einer Inspektionstour im Mai zufrieden über den „guten und offensichtlichen Fortschritt“.

Nicht die Hardware, sondern die Software könnte in Peking zum Problem werden. Zwar hat Chinas Regierung erklärt, dass die Spiele 2008 ein großes Volksfest werden sollen; Vorbild ist dabei die Fußball-WM in Deutschland. Gleichzeitig wollen Pekings Führer jedoch – so ist es die KP gewohnt – jedes Detail von oben steuern. In den Schulen müssen Kinder schon heute olympische Slogans auswendig lernen. Pekings Taxifahrer müssen Englisch büffeln. Vor kurzem startete das Ethik- und Entwicklungsbüro der Hauptstadt eine Kampagne, um den Pekingern bis 2008 das Spucken auf die Straße abzugewöhnen. „Eine Welt, eine Traum“ lautet das Motto für die Spiele 2008. In Chinas Führung hat man offensichtlich ganz genaue Vorstellungen davon, wie der olympische Traum auszusehen hat.

Harald Maass[Peking]

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