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Sport: Der harte, ältere Bruder

John Smith bereitet Dominique Arnold aufs Istaf vor – kein leichter Job

Berlin - Dominique Arnold schläft immer noch auf der Couch im Wohnzimmer seines Vaters, seit einem Jahr schon. 2004 ist er nach Los Angeles gekommen und hat sich in seinem Elternhaus einquartiert. Es sollte eine Übergangslösung sein, aber jetzt ist er immer noch da. Er müsste nicht auf der Couch liegen, er könnte zum Beispiel bei Maurice Greene wohnen, seinem Freund und Trainingskollegen. Greene ist zweifacher Olympiasieger und fünffacher Weltmeister, er hielt mal den Weltrekord über 100 Meter, er hat eine Villa mit großen Gästezimmern. Übernachte doch bei mir, hatte er Arnold schon ein paar Mal gesagt. Aber der Hürdensprinter Dominique Arnold, 31 Jahre alt, bleibt bei seinem Vater. „Er ist wichtig für mich“, sagt er.

John Smith gefällt diese Wohnsituation. Die Nähe von Vater und Sohn erleichtert ihm die Arbeit. Er trainiert Arnold, und er sagt: „Der Vater ist ein Priester. Ein sehr präsenter Mann. Dominique hat von ihm gelernt, gut zuzuhören. Er kann Ratschläge entgegen nehmen.“

Das muss einer können, der mit Smith arbeitet. Der 49-Jährige ist ein Startrainer, so einer diskutiert nicht viel. Vor allem nicht mit einem, der erst seit einem Jahr bei ihm ist. Als der Hürdensprinter Arnold kam, hatte er eine Bestzeit von 13,11 Sekunden. Jetzt steht sie bei 13,01 Sekunden. „Er kann noch schneller laufen“, sagt Smith. Arnold hat das Golden-League-Rennen in Zürich gewonnen, und in Brüssel wurde er Zweiter. Am Sonntag startet er beim Istaf, dem Golden-League-Finale in Berlin.

Aber für Smith ist Arnold nicht bloß ein Athlet. „Für mich“, sagt er, „ist er auch wie ein kleiner Bruder.“ Das ist sein Problem. Denn Smith muss „aufpassen, dass ich seine Grenze nicht überschreite“. Smith, der harte Trainer, darf nie so hart werden, dass er damit seine Rolle als fürsorglicher großer Bruder beschädigt. „Das ist nicht einfach“, sagt er.

Er kennt Arnold seit vielen Jahren. Sie sind im gleichen Viertel von Los Angeles aufgewachsen, ein Problembezirk. Hier war das Reich der Straßengangs. Hier wurde die Kirche für Eltern, die ihre Kinder nicht im Sumpf versinken sehen wollten, noch mehr zur Fluchtburg als in anderen Gegenden. In dieser Gegend war Vater Arnold Priester. Und einer der Menschen, die regelmäßig in seine Kirche kamen, hieß John Smith. Die Überzeugungskraft von Vater Arnold hat nicht bloß den Sohn beeindruckt. Dominique Arnold war damals in der High School und ein talentierter Leichtathlet. Über die Kirche lernte er Smith kennen. Später zog er nach Pennsylvania, aber Kontakt zu Smith hat er immer gehalten. Nur als Coach hatte er ihn bis 2004 nie.

Jetzt gehen sie zusammen shoppen und abends zum Essen,und manchmal beten sie auch gemeinsam. Smith legt viel Wert auf Gemeinsamkeit, nicht bloß mit Arnold. Die ganze Trainingsgruppe ist häufig nach der Arbeit zusammen.

„Dominique hat noch Potenzial, sein Talent ist ein Geschenk“, sagt Smith. Das sagt er als Trainer. „John arbeitet sehr zielgerichtet, und er motiviert mich“, sagt Arnold. Smith hat mal auf einen Rollstuhlfahrer gedeutet. „Siehst du“, hat er Arnold gesagt, „das härteste Training ist immer noch besser als solch ein Schicksalsschlag.“ Aber Smith hat immer diese Grenze im Kopf, die er nicht überschreiten sollte. Deshalb ist er in Sheffield auch ruhig geblieben. Arnold ist dort vor kurzem nur 13,26 Sekunden gelaufen. Er hat gewonnen, aber die Zeit war schlecht. Und Arnold war sauer auf sich. Smith blickte ihn nur an. Das genügte. „Er weiß, wann er nichts sagen muss“, sagt Arnold.

Aber offenbar teilt er dem Coach auch nicht alles mit. Jedenfalls steht in Berlin, nach einem Istaf-PR-Termin, irgendwann die Frage im Raum: Warum eigentlich wechselte Arnold zu Smith? So spät, mit 31 Jahren? Arnold steht neben Smith, und er druckst herum. Es ist nicht klar, was er Smith früher als Begründung gesagt hat. Aber es ist der Moment, in dem klar wird, dass Arnold nicht zu Smith, dem Startrainer, gepilgert ist, weil er unbedingt eine letzte große Herausforderung gesucht hat. „Willst Du die Wahrheit hören, wirklich?“, fragt er seinen Coach. „Ja.“ - „Na gut“, sagt Arnold dann leicht gequält. „Die Wahrheit ist: Mein Trainer in Pennsylvania hat mich verlassen.“ Da muss John Smith laut lachen.

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