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Sport: Der humanoide Kick

In 47 Jahren wollen Fußballroboter den Fifa-Weltmeister schlagen

Kaum 50 Jahre ist es her, da die besten Computerköpfe des Globus ernsthaft die Vision eines weltmeisterlichen Schachcomputers formulierten. Schach, was für eine läppische, nachgerade primitive Herausforderung: immer die gleiche Aufstellung, stabile Anfangsbedingungen, starre Regelvorgaben, algorithmische Überschaubarkeit, Abwesenheit von Zufallsmomenten, vor allem aber: motorischer Aufwand, gleich null.

Vor diesem Hintergrund erscheint die neue Zielsetzung der, künstlich Intelligenz simulierenden, Ingenieurszunft als erfreuliche Steigerung des Anspruchsniveaus. Weltmeister will man jetzt werden, im echten Fifa-Rasenfußball, spätestens bis 2050.

Fußball, das bedeutet: situativ bedingte Aufstellung, variable und wechselnde Untergründe, kontinuierliche Positionsverschiebungen, widrige, unkalkulierbare Wettereinflüsse, höchst eigensinniges Ballverhalten, ein voll entscheidungsmächtiger, auf jedem Auge halb blinder Schiri, von den leibhaftigen, hochkomplexen Anforderungen an Athletik, vor allem aber an Ball- und Raumgefühl gar nicht zu sprechen. Für uns bekannte Roboter ist dies Spiel der nackte Horror! Und wie reagiert ein vollends überfordertes, verstörtes Wesen? Nun, höchst verschieden. Das eine dreht sich wirr im Kreise, ein anderes wiederholt zwanghaft ein immer gleiches, zielloses Muster, das dritte läuft so lange geradeaus, bis es erschöpft umfällt oder gegen eine Wand prallt, ein viertes gibt Geist und Funktion ganz auf und hofft in stiller Verzweiflung, eine helfende menschliche Hand möge es doch irgendwann aus seiner Pein befreien.

Solche Wesen zeigen also, mit anderen Worten, eben jene Verhaltensweisen, die das Spielgeschehen beim RoboCup 2003, eine Art offizielle Fußballroboterweltmeisterschaft, an diesem Wochenende im italienischen Padua noch prägen mussten. Sicher, der ein oder andere Ball wurde fein eingenetzt. Aber die Familienähnlichkeiten mit dem, was der gemeine Fan unter Fußball versteht, bleiben bis dato doch äußerst schwach ausgeprägt.

Zur Häme besteht dennoch kein Anlass. Schließlich brauchen lebendige Menschen – im Gegensatz zu Maschinen – Visionen, und seien es utopische. Und manchmal ermöglicht es ja gerade die bewusst utopische Formulierung eines Handlungszieles, die Sinnhaftigkeit des unternommenen Projektes bereits im Anfang produktiv in Frage zu stellen.

Den amtierenden Weltmeister sollen die humanoiden Roboter, 2050, schlagen! Bereits in dieser Formulierung lauert ein Missverständnis. Denn im Fußball geht es nun einmal nicht ums Gewinnen – sondern um den Spielgenuss. Es gibt zweifellos schon jetzt Maschinen, gegen die eine heutige Weltauswahl auf dem Feld nur äußerst mühsam würde anstinken können. Eigentlich muss man nur einen Panzer vom Typ Leopard II quer ins Tor stellen und ihn mit den Vereinsfarben von Inter Mailand bemalen; hinten wäre dann dicht, und vorne geht ja bekanntlich immer irgendwie was! Nein, eine recht gestellte Roboterfrage darf nicht lauten, ob man 2050 gewänne, sondern, ob es diesen künstlichen Tierchen wohl gelänge, mit ihrem Spiel mehr als zwei Milliarden Menschen vor dem Bildschirm zu vereinen und diese über den Zeitraum von 90 langen Minuten in den Zustand einer beglückenden Selbstvergessenheit oder auch tränenreich emotionalen Einbindung zu versetzen. Was müssten sie dafür wohl können? Wann wollen wir sagen, sie hätten dazu das nötige Zeug? Vielleicht, wenn Zukunftsmodell ROH-TOR 9 wenige Sekunden vor Schluss des offenen Finals, völlig frei stehend, eine tausendprozentige Chance um nur wenige Millimeter am Pfosten vorbeisetzt, und dass, obwohl er, nach Ermessen sämtlicher Fachleute, alles richtig gemacht hat und sein Programm einwandfrei lief, wenn sein humanoider Stürmerkollege dann zu ihm eilt, um ihn aufzurichten, weil er ein inneres Bedürfnis danach verspürt und überdies glaubt, diese Geste mache sich im Fernsehen sicher prächtig, wenn einem dritten zum gleichen Zeitpunkt die Sicherungen durchbrennen und er, nicht wissend weshalb und warum, dem Schiedsrichter eine mehrsprachige Schimpfsalve entgegenwirft und einem vierten schließlich, sagen wir, dem sagenhaften Robo-Torwart des Turniers, aus dem bewölkten Himmel seines Selbst urplötzlich der Gedanke „Alles Schlampen, außer Mama“ ins Hirn blitzt, ja, dann wollen wir gerne zugeben, die Ingenieure hätten ihr Ziel erreicht.

Die Frage ist nur: Brauchen wir dafür Roboter? Gibt es das nicht schon?

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