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Sport: Der Kampf ist aus

Für Boxprofi Urkal endet in der elften Runde mehr als nur der WM-Titelfight

Berlin - Oktay Urkal hockt auf dem äußeren Rand des Boxrings, seine Beine baumeln runter. Mit dem Zeigefinger pult er am Verschluss einer geöffneten Coladose, und mit der anderen Hand tupft er sich mit einem blutbefleckten, weißen Handtuch die Brüschen im Gesicht ab. Die Szene spielt sich eine Dreiviertelstunde nach der Niederlage gegen den Amerikaner Vivian Harris ab. Der Deutsch-Türke weiß, dass dieser Moment etwas Endgültiges hat. Weltmeister wird er nun nicht mehr werden. Vielleicht endet in diesen Augenblicken die Karriere eines ungewöhnlichen Boxers.

Eine halbe Stunde vor Mitternacht kommt dieser Boxer gehüllt in einen knallroten Kampfmantel und unter dröhnender Musik die Treppe der steilen Ränge des Tempodroms herunter. Sein Weg in den Ring führt ihn vorbei an riesigen Fackeln, in deren Schein er aussieht wie ein Gladiator, der in eine Schlacht zieht. Dass er diese Schlacht später verlieren wird, weiß er zu diesem Zeitpunkt nicht. Er wirkt entschlossen, die Stimmung ist prächtig. 3500 Zuschauer haben sich von ihren Sitzen erhoben und jubeln dem „Cassius von Kreuzberg“, wie der Boxer in seiner Heimatstadt genannt wird, zu. Es ist Urkals letzte Chance, Weltmeister im Halbweltergewicht zu werden. Es ist ein Kampf, den er im April schon einmal geboxt und schon einmal verloren hat. Dieses Mal aber soll es noch deutlicher werden.

Etwas mehr als zehn Runden später fällt im Ring die Entscheidung. Urkal schwinden die Kräfte, seine Fäuste haben keinen Dampf mehr, und sie treffen den Gegner kaum noch. Sein Mund ist auf, sein Blick verschrocken, fast starr. Als er für eine Sekunde unachtsam ist, kracht ein rechter Haken auf seine linke Gesichtshälfte, kurz darauf noch mal. Oktay Urkal knicken die Beine weg, er fällt vornüber auf die Knie. Sein Trainer Ulli Wegner greift in der Ringecke schon zum Handtuch. Doch der amerikanische Ringrichter Armando Garcia kommt ihm zuvor und kreuzt seine Arme über den Kopf. Das ist das Zeichen, das bedeutet, der Kampf ist aus.

Hinterher erzählt Trainer Wegner, dass er das Handtuch zum Zeichen der Aufgabe in den Ring geworfen hätte. „ich hätte nicht zugelassen, dass er vernichtet wird“. Die Sprache der Boxer ist mitunter hart und brutal – wie ihr Sport. „Die Natur hat uns einen Strich durch die Rechnung gemacht“, sagt Wegner, der davon erzählt, dass er seinen Boxer wegen einer Erkältung für vier Tage aus dem Trainingsprozess nehmen musste. „Das hat Kraft gekostet, vieles kam heute nicht so flüssig.“ Das ist die eine Hälfte der Wahrheit. Die andere: Urkal ist 34 Jahre alt. Das ist viel in einer Gewichtsklasse, wo es auf Kondition und Reflexe ankommt. Erst recht bei diesem Gegner. Harris hat die längeren Hände, mehr Bumms in den Fäusten und ist acht Jahre jünger, „das ist nicht wegzudiskutieren“, sagt Manager Wilfried Sauerland. „Wäre Oktay drei Jahre jünger, hätte er gewonnen.“

„Ich muss zugeben, dass Vivian des Bessere ist. Ich habe alles aus meinem Körper rausgeholt. Mehr geht nicht. Es tut mir Leid. Was jetzt kommt, muss ich mir noch überlegen“, sagt der geschlagene Boxer. Ausreden passen nicht zu ihm. Vielleicht kriegt Urkal jetzt noch einen Abschiedskampf, wie es sich der Manager wünscht, vielleicht um den EM-Titel. In Europa hat Urkal alle geschlagen. „Selbst wenn Oktay heute Weltmeister geworden wäre, es wäre befristet gewesen.“ Insgeheim schwebten Oktay Urkal für diesen Fall „ein, zwei Kämpfe“ vor.

So kann es sein, dass dieser 35. Profikampf sein letzter Kampf ist. Noch einmal war es ein intensiver Kampf auf hohem sportlichen Niveau. Noch einmal hatte Oktay Urkal sich gequält, hatte Hochgeschwindigkeitsboxen geboten. „Es tut mir weh für Berlin, für Deutschland“, sagt Urkal zum Schluss. Dann steht er auf und verlässt den Boxring. Die Fackeln sind längst erlöschen.

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