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Sport: Der Liebling geht

Neuendorf verlässt Hertha am Saisonende

Berlin - Der Trikottausch nach einem Spiel gehört zu den beliebtesten Ritualen im bezahlten Fußball. Andreas Neuendorf interpretierte diesen Brauch ganz neu, als er im Oktober 2005 nach einem 3:3 in der Bundesliga das Hemd vom Stuttgarter Martin Stranzl bekam. Anstatt es sich als Souvenir mit nach Hause zu nehmen, hängte Neuendorf es über eine Eckfahne des Gottlieb-Daimler-Stadions. Neuendorf hat sich noch nie für die Rituale in seiner Branche interessiert. Der Berliner, den alle Zecke nennen, war immer ein bisschen anders.

Man könnte die Szene aber auch anders deuten: Neuendorf wollte sich nie ein anderes als das Hertha-Trikot anziehen. Jetzt aber steht fest, dass er seinen Lieblingsverein am Ende der Saison verlässt. „Es wird keine Verhandlungen mit Hertha mehr geben“, sagte der Mittelfeldspieler gestern. Ein Gespräch zwischen Neuendorf, seinem Berater Thorsten Weck und Manager Dieter Hoeneß blieb ergebnislos. Hertha habe ihm keinen neuen Vertrag angeboten, sagte Neuendorf. Er wäre gern in Berlin geblieben. Ein paar Jahre will der 32-Jährige noch in der Bundesliga spielen. Sein Berater sagt, es gäbe mehrere interessierte Klubs.

Bei Hertha kam Neuendorf zuletzt kaum zum Einsatz. In dieser Saison spielte er zwar 16 Mal in der Bundesliga – stets aber wurde Neuendorf ein- oder ausgewechselt. Zu Herthas ehemaligem Trainer Falko Götz hatte er ein gestörtes Verhältnis. Allerdings war Neuendorf meistens erster Einwechselspieler. Bald könnte er einen Rekord einstellen: Mit 115 Einwechslungen ist er der am zweithäufigsten eingewechselte Profi der Bundesliga, Bayerns Mehmet Scholl führt mit 122. Neuendorfs Wert ist nicht an Zahlen abzulesen. Mit seiner lockeren Art integriert er neue Spieler. Aber Neuendorf kann auch anders. „Er hat immer ein Gespür für das, was die Mannschaft braucht“, sagt Defensivspieler Sofian Chahed. „Manchmal haut er im Training dazwischen, an anderen Tagen baut er die anderen auf. Wir werden ihn vermissen.“

Die Fans trifft der Abschied mindestens ebenso hart. Neuendorf ist ihr Liebling. „Keiner ist so nah an den Fans dran wie Zecke. Er interessiert sich wirklich für unsere Sachen“, sagt Michael Dötsch, der stellvertretende Vorsitzende des Förderkreises Ostkurve, einem Zusammenschluss vieler Fanklubs. Die Meinungen der Fans über die Entscheidung des Klubs gehen auseinander. „Von der sportlichen Seite her ist das nachvollziehbar, weil er kaum noch gespielt hat“, sagt Dötsch. Sicherlich werde es aber Fans geben, die dem Verein die Entscheidung übel nehmen. Ein Nachfolger für Neuendorf ist laut Dötsch nicht in Sicht. „Ich sehe keinen Spieler, der das so glaubhaft und aufrichtig machen könnte.“

Andreas Neuendorf ist in Steglitz aufgewachsen, an der Schildhornstraße hat er bei Stern 1900 das Fußballspielen gelernt. Den Durchbruch schaffte er nicht in Berlin. Im November 1995 bestritt er für Bayer Leverkusen sein erstes Bundesligaspiel. Nach einem kurzen Abstecher zu Hertha wurde er 1998 erneut von den Berlinern verpflichtet. Auf Leihbasis. Als Leverkusen Neuendorf zurückhaben wollte, wollte der nicht mehr – und zerstritt sich mit Bayers damaligem Trainer Christoph Daum. Er musste im Jahr 2000 trotzdem zurück – und verbrachte fast die ganze Saison auf der Reservebank.

Neuendorfs Temperament und seine direkte Art haben ihm nicht immer geholfen. „Mir hat so einer früher in Leverkusen gefehlt, der mal gesagt hätte: Zecke, entspann’ dich“, hat Neuendorf kürzlich in einem Tagesspiegel-Interview gesagt. Hätte es so jemanden in Leverkusen gegeben, der Bundesliga würden heute wohl einige Anekdoten fehlen.

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