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Sport: Der Mann am Rand

Vor der Europameisterschaft kennt die Basketball-Nationalmannschaft nur wenige Probleme – Misan Nikagbatse ist das größte

Von Mathias Klappenbach

und Benedikt Voigt

Berlin. Als es spannend wird, springen die anderen Basketball-Nationalspieler von der Ersatzbank auf: Jörg Lütcke schwingt ein weißes Handtuch über seinem Kopf, Ademola Okulaja reckt die Hände in die Luft, selbst der verletzte Star, Dirk Nowitzki, springt auf und klatscht seine riesigen Hände ineinander. Nur ein Spieler verfolgt das Geschehen so regungslos, als säße er in der Berliner Philharmonie und nicht vor 9000 Zuschauern in der Max-Schmeling-Halle: Misan Nikagbatse.

Der 21-Jährige ist gegenwärtig der Problemfall in der deutschen Basketball-Nationalmannschaft. Dabei sieht es eigentlich ganz gut aus, wenn das Team von Bundestrainer Henrik Dettmann am Freitag (15 Uhr, live in der ARD) gegen Israel in Norrköping in die Europameisterschaft startet. Das deutsche Team gilt erstmals als Mitfavorit, Dirk Nowitzki und Ademola Okulaja können nach ihren Verletzungen wieder spielen. Und die Stimmung im Team ist auch gut. Nur bei Misan Nikagbatse nicht. Er wirkt unbeteiligt und spielt schwach. „Es hakt noch bei ihm“, sagt Wolfgang Brenscheidt höflich, „er ist noch nicht da, wo er im letzten Sommer stand.“ Der Sportdirektor des Deutschen Basketball-Bundes (DBB) bemüht sich, die Kritik nicht zu groß werden zu lassen. „Er ist erst 21 Jahre alt, da verzeihe ich mehr als bei einem älteren Spieler.“

Doch Trainer Henrik Dettmann musste bereits zur Tat schreiten. „Es hat schon Gespräche gegeben zwischen Misan und dem Trainer“, berichtete Brenscheidt nach dem Supercup in Braunschweig. Dettmann steht vor einer schwierigen Situation. Wie kann er einen Spieler als Bundestrainer disziplinieren, den er andererseits als Vereinstrainer für den Mitteldeutschen BC verpflichten will? In der Vorbereitung sagte Dettmann über seine neue Doppelrolle: „Ich kann das trennen – wenn ein Spieler einen Platz in der Nationalmannschaft verdient hat, wird er ihn bekommen.“ Am Sonntag schüttelte der Trainer den Kopf, als das Gespräch nach dem letzten EM-Testspiel gegen Italien (78:74) auf Nikagbatses Verpflichtung kommt. Er möchte darüber nichts mehr sagen.

Die Verhandlungen stocken. „Es gibt keinen neuen Stand“, sagt der Geschäftsführer des Mitteldeutschen BC, Matthias Hund, „Misan Nikagbatse muss sich mit Olympiakos Piräus einigen.“ Beim griechischen Europaligisten besitzt der Aufbauspieler noch einen Vertrag, der ihm 300 000 Dollar einbringen würde. Doch die Griechen wollen ihn und den teuren Vertrag loswerden. Zuletzt war er an den italienischen Erstligisten Snaidero Udine ausgeliehen. Nun will Nikagbatse zum Mitteldeutschen BC wechseln. „Ich würde auch eine Gehaltsminderung hinnehmen“, sagte Nikagbatse. Der Vertrag mit Piräus soll aufgelöst werden. Aber wie? Nach Auskunft des Geschäftsführers ist der Mitteldeutsche BC nicht bereit, eine Ablösesumme zu zahlen. „Wir warten ab, was passiert.“ Momentan verhandelt Nikagbatses Agent Mark Fleischer mit den Griechen.

Vielleicht ist es die ungewisse Zukunft, die seine Leistung negativ beeinflusst. Henrik Dettmann sagt: „Er hat ein Problem mit dem Selbstvertrauen, aber er muss die Herausforderung annehmen.“ Nikagbatse ist ein eigenwilliger Mensch. Seine Familienumstände waren nicht immer einfach. Nikagbatse ist ein Kind der Straße, die Tattoos auf seinem Körper mehren sich. In der „Basketball-Zeitung“ beschreibt er seine Gefühle während des Spiels: „Du dribbelst, hast den Rhythmus, alles stimmt – du hast den Flow.“ In der vergangenen Saison hatte er den Flow wirklich. Nach seinem starken Debüt in der Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft in Indianapolis erzielte er in Udine im Durchschnitt bei 25,8 Minuten Einsatzzeit 10,9 Punkte. Davon ist er in der Nationalmannschaft momentan weit entfernt.

Wenn Mithat Demirel aus dem Spiel geht und Misan Nikagbatse aufs Feld kommt, sinkt das Niveau im Spielaufbau deutlich. Wolfgang Brenscheidt nennt jedoch einen anderen Grund für den Leistungsunterschied. Nicht der zweite Aufbauspieler ist so schwach, der erste ist so stark. „Mithat Demirel hat momentan ein unglaubliches Niveau“, sagt der Sportdirektor. Gegen Italien erzielte Demirel 20 Punkte, darunter zwei spielentscheidende Dreier. Weil der Aufbauspieler des Deutschen Meisters Alba Berlin so gut in Form ist, wirkt das Problem Nikagbatse nicht so bedeutsam. Zumal auch Marko Pesic oder Steffen Hamann das Spiel lenken können.

„Der Trainer ist für den Spieler da und nicht umgekehrt“, hat Dettmann einmal gesagt. Bei Misan Nikagbatse steht der Trainer vor einer großen pädagogischen Aufgabe. Er sagt: „Wir schaffen das.“

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