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Bleib doch noch ein bisschen. Trainer Lucien Favre arbeitet schon daran, Marco Reus von den Qualitäten Mönchengladbachs zu überzeugen. Foto: dpa

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Sport: Der Mann aus der Tiefe

Doppeltorschütze Marco Reus bringt eine neue Dimension in Gladbachs Spiel. Trainer Lucien Favre würde ihn daher gern länger behalten

Lucien Favre ist hin- und hergerissen zwischen seinem Hang zum Perfektionismus und einem besonders ausgeprägten Realitätssinn. Am Samstag, nach dem 2:1-Sieg seiner Mannschaft gegen den Europapokalteilnehmer Hannover 96, musste der Trainer von Borussia Mönchengladbach mit anhören, wie sein Kollege Mirko Slomka gefragt wurde, ob die Gladbacher einen ähnlichen Weg nehmen könnten wie die Hannoveraner. Favre schüttelte schon bei der Frage ausdauernd seinen Kopf und probierte sich an einem sarkastischen Lächeln. Solche Gedanken empfindet er als hirnrissig. Er hält die bisherige Ausbeute seines Teams – zwanzig Punkte aus elf Spielen – nur für „nicht schlecht“ und nicht etwa für überragend. Besser geht immer.

Das gilt selbst für Marco Reus, den Offensivspieler der Borussia. Gegen Hannover hatte er beide Tore erzielt, „eins mit links, eins mit rechts“, wie Favre hervorhob. „Fehlt nur noch eins mit dem Kopf“, sagte der Schweizer. Besser geht immer.

Den Nachweis, ein exzellenter Kopfballspieler zu sein, hat Reus noch nicht erbracht. Doch auch so ist er die entscheidende Figur im Spiel der Gladbacher, die in der Vorsaison gerade so dem Abstieg entronnen sind und nun, nach gut einem Drittel der Spielzeit, auf einem Europapokalplatz untergekommen sind. In den Tagen vor dem Duell mit Hannover 96 und nach drei Bundesligaspielen ohne Sieg war Reus eine gewisse Verschwendung von Torchancen vorgehalten worden. Kaum traf der Nationalspieler, gewannen die Gladbacher auch wieder.

Es wirkte wie eine treffende Pointe auf die Debatte um seine Person, dass Reus für das 1:0 nicht einmal eine Chance brauchte. Hannovers Innenverteidiger Emanuel Pogatetz hatte Borussias Stürmer bereits erfolgreich gestellt. Der Weg zum Tor war versperrt, Reus überlegte kurz, den Ball in die Mitte zu spielen, entdeckte dort aber keinen seiner Kollegen, machte einen Schritt nach innen – und schoss den Ball mit seinem etwas schwächeren linken Fuß zwischen Pogatetz’ Beinen hindurch präzise neben den Pfosten. „Es war uns klar, dass das ein toller Spieler ist“, sagte Mirko Slomka über den Doppeltorschützen der Gladbacher. „Wir wollten alle Chancen verhindern. Aber das kann man nicht.“

Am Ende wies die Statistik acht Torschüsse für Reus aus, so viele wie für keinen anderen Spieler auf dem Feld. Die Torausbeute hätte also noch besser sein können, doch bevor diese Diskussion weiter vertieft wurde, gab Borussias Kapitän Filip Daems zu bedenken: „Man muss auch sehen, wie viel er sich selber erarbeitet.“ Reus ist der Mann, der Tiefe ins Spiel der Gladbacher bringt: entweder indem er die freien Räume im Sprint erschließt oder indem er mit dem Ball in die Spitze stürmt und damit die Verkrustungen auf dem Feld auflöst. „Es macht Spaß, mit ihm zu spielen“, sagt sein Sturmpartner Mike Hanke, „es ist auch sehr einfach, mit ihm zu spielen, weil man ihn mit einem Kontakt steil schicken kann.“

Angesichts seiner Fähigkeiten bleibt es nicht aus, dass Reus in den Blick anderer, größerer Vereine geraten ist. „Ist doch schön, oder“, sagt er selbst zum angeblichen Interesse des FC Bayern München. Der Boulevard hat das Thema in der vergangenen Woche derart penetrant aufbereitet, dass der Eindruck entstand, der Transfer des 22-Jährigen nach München stehe unmittelbar bevor. Bei näherem Hinsehen wirkte es jedoch eher so, als ob aus eher allgemeinen Äußerungen pro Reus ein konkretes Interesse der Bayern konstruiert worden war.

Trotzdem reagierten die Verantwortlichen der Borussia ein bisschen gereizt auf die Debatte. „Wenn Bayern etwas dementiert, wie sie es am Anfang getan haben, heißt das: Sie wollen den Spieler“, ahnt Favre. Und Manager Max Eberl riet dem FC Bayern München, sich auf den Gewinn der Champions League in dieser Saison zu konzentrieren, anstatt sich schon jetzt mit den Planungen für die nächste zu beschäftigen.

Marco Reus hat bei seiner bisherigen Karriereplanung nicht den Eindruck erweckt, dass es ihm nur ums schnelle Geld geht. Vor einem Jahr, mitten im Abstiegskampf, hat er seinen Vertrag um vier Jahre verlängert. „Es gefällt ihm hier, er mag Gladbach“, sagt Favre, der auch aus eigenem Interesse hofft, dass Reus sich noch ein bisschen Zeit lässt, bis er andernorts den nächsten Entwicklungsschritt einer verheißungsvollen Karriere vollzieht. „Er hat nicht mehr viel zu lernen“, sagt Borussias Trainer, „aber er kann noch Fortschritte machen. Und die würde ich gern mit ihm machen.“

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