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Sport: Der Marathon des Reitsports

Beim Distanzreiten sind die Pferde zwölf Stunden lang unterwegs – und müssen häufig zum Tierarzt

In Kanada massiert einer den Pferdehals, in den Niederlanden picknicken fünf Blondschöpfe, in Deutschland schlägt ein Schmied einen Nagel in ein Hufeisen. Und Saudi-Arabien liegt schräg gegenüber von Ungarn – zumindest hier, unter diesem riesigen weißen Zeltdach, wo jedes Nationalteam eine umzäunte Grasfläche bewohnt. Gartenstühle stehen darin, Heuhaufen und Eimer voll mit angeweichtem Pferdefutter und Möhren. Es ist die Raststätte der Langstreckenläufer unter den Pferden im Wettkampf der Disziplin Distanz. Distanzreiten, das ist im Pferdesport, was Marathon für die Leichtathletik ist. 160 Kilometer müssen Reiter und Pferd an einem Tag zurücklegen, 159 Starter aus 42 Nationen sind dabei, bergauf und bergab durch die hügelige Landschaft rund um Aachen, ins benachbarte Belgien und die Niederlande. Wie eine „8“ ist die Strecke angelegt, in ihrer Mitte ist das Pausenlager. Der Ort, wo es aufgeschlagen ist, heißt Dreiländereck, eigentlich ein Anlaufpunkt für Touristen. Pausen sind vorgeschrieben, sechs gibt es davon, jeweils 30 bis 50 Minuten lang. Die Reiter sind nämlich sehr lange unterwegs: Um die zwölf Stunden insgesamt, knapp über neun Stunden reine Reitzeit brauchen die meisten. Früh um sechs Uhr, manche ausgestattet mit Grubenlampen auf den Köpfen, ritten sie los. Die Pausen beginnen und enden mit einer Untersuchung beim Tierarzt: Wie sind die Pulswerte? Lahmt das Pferd, ist es gesund? Vielleicht ist Distanzreiten die Sportart, die dem Pferd am meisten gerecht wird: Es soll laufen, das Fluchttier, und darf nur weiter geritten werden, wenn es absolut gesund und fit genug ist.

Das Gate, so die Kurzform für die tierärztliche Verfassungsprüfung, ist die Attraktion bei den Distanzfans: Auf einer Tribüne schauen sie zu, wie die Reiter ihr Pferd an den Tierärzten vorbeiführen, damit die beurteilen können, ob es nicht lahmt. Neben Tribüne und Pausenzelt ist der Einritt in den Wald, dort geht es wieder auf die Strecke. Gerade bereitet sich die Deutsche Sabrina Arnolds vor, reitet Schritt, um mit ihrem Fuchs wieder auf die Strecke zu gehen. Ihre Schwester Melanie steht mit ihrer Stute zur Beruhigung daneben. Weiterreiten darf sie nicht, das Pferd lahmt. An einer Absperrung interviewt ein französischer Fernsehsender ihren Nationaltrainer. In Frankreich, Italien und Australien ist Distanzreiten populärer als in Deutschland. Riesig ist die Sportart in den arabischen Ländern. Dubai TV ist mit zig Kameraleuten vor Ort, und es reiten gleich vier Söhne des Scheichs der Arabischen Emirate, Mohammed bin Rashid al Maktoum, mit. Einer konnte schon 2002 in Jerez den Weltmeistertitel holen, Ahmed al Maktoum. Dieses Mal hat er Pech, fliegt schon bei der zweiten Kontrolle und Pause heraus, dem zweiten Gate, wie die Distanzleute sagen. Sein Pferd lahmte, und auch sein Bruder Majid schied aus, Puls- und Atemwerte waren nicht gut genug. „Für die Reiter aus den arabischen Ländern ist es hier ziemlich schwierig“, sagt Birgit Albersmeier, die sich im Organisationsteam der Veranstalter um die Disziplin Distanz kümmert. Sie wären eben Wüste gewöhnt: ohne Steigungen und einfach geradeaus. Sie hätten aber in Frankreich trainiert, sagt der Cheftierarzt des Scheichs. Das eine Pferd hätten sie erst vor einem Monat gekauft, da könne so etwas wie eine schlechte Kondition vorkommen.

Wer gewinnt, entscheidet sich „häufig schon vor dem Zieleinlauf, das ist wie beim Marathon, wenn sich einer absetzt und nicht mehr einzuholen ist“, sagt Birgit Albersmaier. Zur Halbzeit lag der Neuseeländer Peter Toft vorne. Weltmeister wurde aber der Spanier Miguel Vila Ubach mit seinem Pferd Hungares vor der Französin Virgine Atger mit Kangoo. Bestes Team war Frankreich, die deutsche Equipe darf sich Hoffnung auf Bronze machen. Das offizielle Endergebnis kann erst heute bekannt gegeben werden, denn die Zeitmessung war teilweise ausgefallen.

Und wo steckte derweil der Scheich? „Im Zelt“, sagt der Cheftierarzt der Arabischen Emirate, Wilfred van der Linde. Es ist kurios: An allen Ecken des Vet-Gates, wo noch ein bisschen Rasen steht, haben die arabischen Länder ihre Exklusivzelte aufgeschlagen. Bahrain etwa: Mit roten Samtbändern ist der Eintritt verhängt, Kellner in schwarzen Westen eilen über den gepflegten Rasen und ein Blick durch das Fenster verrät, dass in dem weißen Kunststoffzelt ein Kronleuchter hängt.

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