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Sport: Der Mythos vom Auftakt

Von Stefan Hermanns Miyazaki. Die Erinnerung ist eine windige Gefährtin.

Von Stefan Hermanns

Miyazaki. Die Erinnerung ist eine windige Gefährtin. Manchmal gaukelt sie einem Erlebnisse vor, die es im realen Leben nie gegeben hat. Michael Ballack zum Beispiel erinnert sich eigentlich gar nicht mehr so richtig an das Auftaktspiel der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der Weltmeisterschaft 1990 in Italien. Ballack war 13 Jahre alt, und er weiß von dem 4:1-Sieg über Jugoslawien nur noch, dass es „sicher ein Superspiel“ war. Man muss manche Sachen nur oft genug erzählt bekommen, und schon glaubt man, selbst dabei gewesen zu sein.

Vom Sieg der Deutschen gegen Jugoslawien am 8. Juni 1990 in Mailand ist in den vergangenen Tagen ja auch auffallend oft die Rede gewesen. Er hat den Mythos vom ersten Spiel begründet, die Legende, dass ein erfolgreicher Start ins WM-Turnier fast automatisch ein erfolgreiches Abschneiden nach sich ziehe. „Das erste Spiel ist das wichtigste überhaupt“, sagt Mannschaftskapitän Oliver Kahn vor der Partie gegen Saudi-Arabien. „Das hat man 1990 gesehen." Damals, 1990, war es keineswegs so, dass der spätere Weltmeister bereits als übermächtiger Favorit nach Italien gefahren war. Erst im letzten Qualifikationsspiel hatte sich die Mannschaft die Teilnahme an der WM gesichert – durch einen bescheidenen 2:1-Sieg gegen Wales. Der erste Gruppengegner Jugoslawien galt als technisch stark, und „dann haben wir meiner Meinung nach gleich am Anfang unser bestes Turnierspiel hingelegt“, sagt Rudi Völler, der heute die deutsche Nationalmannschaft trainiert.

Nachher hieß es, die Deutschen hätten im Spiel gegen Jugoslawien die Wolke erwischt, die sie anschließend durch das gesamte Turnier getragen habe. Und als besonders zupackend hatte sich Mannschaftskapitän Lothar Matthäus erwiesen. Er erzielte zwei Tore, das 1:0 und das 3:1. Vor allem sein zweiter Treffer in der 65. Minute ist legendär geworden. Matthäus lief mit dem Ball am Fuß durch das komplette jugoslawische Mittelfeld und schoss ihn von knapp vor der Strafraumgrenze ins linke untere Eck. Die ganze Entschlossenheit der Deutschen war gewissermaßen in diesem Tor verdichtet. Matthäus wurde zum Anführer einer erfolgsfixierten Gemeinschaft. „Wir haben Selbstvertrauen getankt und Ruhe ins Umfeld reinbekommen“, sagt Rudi Völler, der damals den Treffer zum 4:1-Endstand erzielte. „Diese Ruhe brauchen wir jetzt auch."

Noch nie hat ein späterer Weltmeister sein erstes Turnierspiel verloren. Nur Italien (1982), England (1966) und Uruguay (1950) starteten mit einem Unentschieden. Wenn die Deutschen Weltmeister wurden, haben sie ihr erstes Spiel stets gewonnen: 1954 gegen die Türkei (4:1), 1974 gegen Chile (1:0) und eben 1990 gegen Jugoslawien. Der Umkehrschluss (Guter Start = gutes Abschneiden) lässt sich statistisch allerdings nicht belegen. Vor vier Jahren gewann die Nationalelf 2:0 gegen die USA, schied aber im Viertelfinale aus. Andererseits verloren die Deutschen 1982 überraschend ihr Auftaktspiel gegen Algerien (1:2) und schafften es doch noch ins Finale.

„Es wird sehr schwer, wenn man in das Turnier hineinstolpert“, sagt Kapitän Kahn. Doch die erfolgreiche Statistik täuscht ein wenig darüber hinweg, dass bei vielen Auftaktsiegen der Deutschen das Ergebnis das einzig Erfreuliche war. Einen auch spielerisch überzeugenden WM-Einstieg der Deutschen hat es – von 1990 abgesehen – zuletzt 1966 in England gegeben, beim 5:0 gegen die Schweiz. Früher aber waren die Deutschen häufig in der Lage, sich im Laufe eines Turniers zu steigern. Dem Jahrgang 2002 wird diese Fähigkeit nur bedingt zugetraut. Auch deshalb sagt Oliver Kahn: „Wir betrachten das erste Spiel schon als Endspiel.“

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