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Sport: Der Onkel aus dem Flugzeug

Zum ersten Mal lernte er die Deutschen kennen, als sie am Flughafen standen und ihn ansahen, als sei er ein Engel. Gail Halvorsen blickte in ihre Gesichter und suchte in ihnen die "arroganten, humorlosen, überheblichen Unmenschen", die den Zweiten Weltkrieg angezettelt hatten.

Zum ersten Mal lernte er die Deutschen kennen, als sie am Flughafen standen und ihn ansahen, als sei er ein Engel. Gail Halvorsen blickte in ihre Gesichter und suchte in ihnen die "arroganten, humorlosen, überheblichen Unmenschen", die den Zweiten Weltkrieg angezettelt hatten. Doch Halvorsen, Pilot der US-Luftbrücke während der Berlin-Blockade 1948/49, entdeckte nur Bescheidenheit. Und Kinder, die sich dankbar seine Kaugummis teilten.

Seitdem ist Gail Halvorsen "mit dem Herzen ein Deutscher", wie er sagt. Der Farmer aus Utah, der seine Jugend mit dem Fangen von Fischen und dem Anbau von Weizen verbrachte und sich erst später seinen Traum vom Fliegen erfüllte, ist ein ständiger Gast in Berlin. Während der sowjetischen Blockade war er der "Schokoladenonkel" der Stadt, der aus Taschentüchern kleine Fallschirme bastelte, um damit Süßigkeiten für die Kinder abzuwerfen. In den siebziger Jahren arbeitete er als Kommandant auf dem Flughafen Tempelhof, seit 1980 organisiert er mit Freunden einen deutsch-amerikanischen Schüleraustausch. Halvorsen ist mit Preisen dekoriert worden, der 80-Jährige bekommt Fanpost. Nun wird er die deutsche Mannschaft bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele ins Stadion von Salt Lake City geleiten (2 Uhr MEZ, live in der ARD). Eine weitere Ehrung für Gail Halvorsen. Und eine nicht so leichte Aufgabe.

Jeden zweiten Tag fährt Gail Halvorsen mit dem Auto von seiner Farm im südlichen Utah, auf der er mit seiner Familie lebt und noch ein paar Pferde züchtet, hinauf nach Salt Lake City. Dort marschiert er dann ins Stadion ein - in der Hand ein Schild mit der Aufschrift "Germany", in Reihen hinter ihm mehr als 100 Statisten, die die deutschen Athleten spielen. Zwei Wochen dauern die Proben für die olympische Feier schon an. Immer mehrere Stunden, immer bei zehn Grad minus. Und immer noch ist nicht alles perfekt.

Es gibt kleine Probleme, etwa mit der Sprache. "Was heißt auf deutsch: Bitte rücken Sie etwas zusammen?", fragte er vor einigen Tagen seine Berliner Freundin Mercedes Wild per E-Mail. Vor mehr als 50 Jahren - während der Berliner Blockade - hatten sich die Deutsche und der Amerikaner kennen gelernt. Sie war ein sieben Jahre junges Mädchen, das ihn fragte, ob er seine kleinen Fallschirme mit der Schokolade auch über ihrem Garten abwerfen könne. Er war der Pilot einer tief über den Dächern fliegenden Maschine, die keine Bomben abwarf, sondern Lollis und Bonbons. Und damit die Kinder ihn mit seiner Maschine erkannten, wackelte er beim Anflug auf die Stadt mit den Flügeln.

Seit diesen Tagen schreiben sich Gail Halvorsen und Mercedes Wild regelmäßig. Die Berlinerin will die Eröffnungsfeier in Salt Lake City "voller Stolz" auf ihren amerikanischen Freund vor dem Fernseher mitverfolgen. Im April wird dann in den USA ein Kinderbuch erscheinen. Titel: "Mercedes und der Schokoladenonkel." Bis dahin kennen ihn vielleicht noch ein paar Kinder mehr. Denn nach der Eröffnungsfeier von Salt Lake City wird Gail Halvorsen auch der deutsche Olympiaonkel sein.

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