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Sport: Der PR-Mann scheut die Öffentlichkeit

Der Ort der Selbstfindung scheint trefflich gewählt. Auf der Suche nach einem Weg aus einer tiefen Sinn- und Spielkrise hat sich die deutsche Fußballnationalmannschaft an einem Berg hoch über Palma einquartiert.

Der Ort der Selbstfindung scheint trefflich gewählt. Auf der Suche nach einem Weg aus einer tiefen Sinn- und Spielkrise hat sich die deutsche Fußballnationalmannschaft an einem Berg hoch über Palma einquartiert. Hier oben, wo die Luft schon etwas dünner und nicht unbedingt besser wird, beherbergt das feine Arabella Sheraton Hotel Son Vida den auserwählten Zirkel deutscher Fußballkunst. Etwas ab vom Schuss, wenige, dafür umso größere Zimmer, keine Touristen und vor allem kein Zugang für die Presse.

Ein eigener Sicherheitsdienst, noch daheim in Deutschland rekrutiert, sorgt für kasernengleiche Verhältnisse. Wen das noch nicht abschreckt, den erwartet ein zuweilen recht böiger Wind. Der müht sich nach Kräften, gerade so, als wolle er den strapazierten Seelen und Waden der Profis neue Frische für die Europameisterschaftsendrunde in den Niederlanden und Belgien einhauchen. Und doch, wie das bei Kasernen so ist, scheint auch in diesem schicken Ambiente bei den Deutschen die Angst mitzuwohnen.

Teamchef Erich Ribbeck hat eine defensive Taktik gewählt zur Vorbereitung seiner Mannschaft, was bei ihm nicht unbedingt zu erwarten war. Denn hatte nicht der Deutsche Fußball-Bund (DFB) den Pensionär seiner kommunikativen Künste wegen aus Teneriffa zurück ins Tagesgeschäft geholt? Doch scheint die Situation zu ernst zu sein für Ribbecksche Eloquenz. Spätestens seit der vormalige Assistent Uli Stielike mit friedlosen Kommentaren das Binnenklima störte und daraufhin abserviert wurde, hat sich neuer Ernst ins deutsche Lager geschlichen. Selbst angenehme Anlässe wie etwa die Geburtstage der Herren Jörg Butt und Thomas Häßler fielen der gedämpften Atmosphäre im DFB-Quartier zum Opfer. Sätze wie der von Assistenzcoach Horst Hrubesch: "Wir wollen Leben in die Bude kriegen", muten vor diesem Hintergrund etwas gewagt an.

Bis zum Freitag noch wird die deutsche Nationalmannschaft auf Mallorca bleiben. Bis dahin wird sie genau genommen nur drei komplette Trainingstage absolviert haben. Ob das reicht bei der großen Suche nach einer Linie? Die öffentliche Vormittagseinheit läuft nach herkömmlichem Schema ab. Erich Ribbeck wandelt am Rande des Geschehens und versucht, seinen Blick für das Ganze zu schärfen. Hrubesch, das einstige Kopfballungeheuer, steht mittendrin und greift ein mit Kopf und Grätsche, wenn es sein muss. Abseits übt Sepp Meier mit den drei Torleuten.

Regeneratives Arbeiten heißt das Zauberwort. Das scheint zunächst einmal Sinn zu machen, schließlich war die Bundesliga-Saison lang und hart. Nachmittags, jeweils gegen halb sechs, bittet der Teamchef zum Geheimtraining. Ein großes Wort für eine kleine Maßnahme. "Was heißt schon geheim", poltert Ribbeck und erklärt sich: "Wir müssen doch mal Dinge machen können in einer Atmosphäre, wie sie jeder von zu Hause kennt. Also ohne dass einer zuguckt." Die Mannschaft brauche das Gefühl, mal unter sich zu sein. "Wenn wir Flanken üben mit Torabschluss, dann muss ein Stürmer auch mal was riskieren. Einen Fallrückzieher oder so. Wenn oben auf der Tribüne aber zehn Kameras klicken ...", sagt Ribbeck und überlässt den unausgesprochenen Rest des Satzes der Interpretation.

Möglicherweise ist diese mehr ängstliche als vornehme Zurückhaltung der Grund dafür, dass keine klare Linie im Team zu erkennen ist. Thomas Häßler, der nach zweijähriger Pause reaktivierte Mittelfeldspieler, der schon so viele EM- und WM-Turniere in seinen kurzen Knochen hat, sagt: "Die Karten werden jetzt noch mal neu gemischt." Soll wohl heißen: Bis auf Torwart Oliver Kahn kann sich keiner eines Stammplatzes sicher sein.

Darüber hinaus scheint aber auch das Trainerteam noch etwas unsicher zu sein bezüglich des Systems, des taktischen Korsetts. Neulich wurde ein so genanntes Defensiv-Verschieb-Konzept geübt. Mit geringem Erfolg allerdings. Bei einer Mittelfeld-Variante mit den drei rückwärtig orientierten Kräften Dietmar Hamann, Carsten Ramelow und Jens Jeremies kam nach vorn allzu wenig raus.

Dennoch wird auf dieser Ebene weiterprobiert, was den Schluss zulässt, dass der PR-Stratege Ribbeck die Zurückhaltung auch auf dem Platz zum Prinzip erheben möchte. Noch in der Qualifikation verkaufte der Teamchef seine Taktik mit drei Angriffsspitzen als neuen Heilsbringer. Dann aber kam das Testspiel gegen Holland, mit ihm ein heilloses Durcheinander und ein spielerisches Desaster. Seitdem hat Ribbeck der Offensive abgeschworen. Auf dem Platz wie im Quartier.

So gesehen ist der Berg über Palma wirklich ein trefflich gewählter Ort.

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