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Sport: Der Regisseur

Wie Günter Netzer jetzt hinter den Kulissen seine raumöffnenden Pässe spielt

Von Helmut Schümann

Zug. Ins neue Büro in Zug mit Blick auf den See ist das Bild nicht mitgekommen. Ein Foto war es – im alten Büro in Kreuzlingen stand es etwas lieblos in einer Ecke auf dem Fußboden – und es zeigte Günter Netzer bei den Vorbereitungen zu einem Freistoß. Im neuen Büro in Zug stehen ein paar Miniatur-Ferraris auf dem Sideboard und zeugen von Günter Netzers seit Jahrzehnten bekannten automobilen Vorlieben, immerhin. Aber die Vergangenheit des Fußballspielers Netzer, die ist nun völlig ausgeblendet.

Das heißt, ein kleiner Schrein findet sich doch noch in dem Raum, etwa zwanzig Zentimeter hoch, zehn Zentimeter breit, und den holt Günter Netzer jetzt, öffnet ihn und kann sich kaum halten vor Lachen über die darin stehende winzige Nachbildung des Fußball-WM-Pokals: „Die kann ich ja noch nicht einmal verschenken.“ Den Staubfänger hat Günter Netzer von den japanischen Organisatoren der letzten Fußball-Weltmeisterschaft überreicht bekommen, und die hatten ihm schon im Frühjahr den Titel „Host Broadcast Rightholder“, Fernsehrechte-Inhaber des Gastgebers, eingraviert.

Möglicherweise wussten die Japaner seinerzeit schon mehr, möglicherweise hatten sie auch nur eine weise Vision, seit Donnerstag stimmt sie auf jeden Fall mit der Wirklichkeit überein: Günter Netzer, 58, vor Jahrzehnten Nationalspieler mit mythenumranktem Haupthaar, atemberaubender Freistoßtechnik und verklärenden raumöffnenden Pässen, ist Mitinhaber der Vermarktungsrechte für die Fußball-Bundesliga, für die Weltmeisterschaft 2006 und diverse andere – allerdings weit weniger lukrative – Sportveranstaltungen. Dafür haben Netzer und sein Finanzier, der ehemalige Adidas-Chef, Großinvestor und im Nebenjob Präsident von Olympique Marseille, Robert Louis-Dreyfus, den Insolvenzverwaltern des zusammengebrochenen Medienimperiums von Leo Kirch dem heimlichen Vernehmen nach 300 Millionen Euro überwiesen. Das klingt recht gewaltig, ist aber ein Schnäppchen, wenn man die Summe in Relation setzt zu dem vom Unternehmensberater Roland Berger prognostizierten Ertragspotenzial für das Rechtepaket in Höhe von 569 Millionen Euro. Zahlen, die Netzer selbst stark relativiert, weil in diese Rechnung auch unsichere Geschäftspartner wie südamerikanische Fußballverbände oder das deutsche Bezahlfernsehen Premiere involviert sind, deren vertraglich zugesicherte Überweisungen keineswegs sicher sind. Doch fernab von allen Spekulationen und wirtschaftlichen Unwägbarkeiten, der Deal hat Netzer über Nacht – sozusagen wie weiland aus der Tiefe des Raumes kommend – zu einem der mächtigsten Männer des Fußballs in Deutschland, in Europa, in der Welt gemacht. „Hören Sie auf, tun Sie mir so was nicht an. Ich weiß, dass ich mit den Rechten Macht habe, ich weiß zwar auch, dass mich Macht nicht korrumpiert, und dennoch habe ich panische Angst davor“, sagt Netzer.

Er wird nicht an der Macht vorbei können, und er will es ja auch gar nicht. Zeitgleich verlängerte Günter Netzer seinen Vertrag als Kommentator der ARD bis zum Jahr 2006, und im Aufsichtsrat des Weltmeisterschaftsorganisationskomitees 2006 sitzt er auch noch. Mithin bestimmt Netzer, wer wann und zu welchen Konditionen die ertragreichsten Fußballspiele übertragen darf, er kontrolliert die WM-Organisation und somit formal auch Komitee-Chef Franz Beckenbauer und er verfügt als eine Art Marcel Reich-Ranicki der Fußballkritik über die Hoheit der Stimmung im Lande zur Nationalmannschaft. Und wie er so dasitzt in seinem neuen Büro in Zug, gut gelaunt, sehr konzentriert, sehr selbstbewusst – zum Beispiel, wenn er über die Widrigkeiten der Champions League parliert: „Diese aufgeblähten Vorrunden-Langweiler müssen weg.“ – da merkt man ihm an, dass ihm diese Position durchaus behagt. Und dann wirkt auch das Fehlen von sentimentalen Erinnerungen an die eigene glorreiche Fußballerzeit logisch.

Denn irgendwie war der schillernde Fußballer Netzer auch stets der Schattenmann. Er war geadelt worden, weil er in den frühen Siebzigerjahren den Fußball versöhnte mit den visionären Zeitläufen – und trotzdem stand ihm der Kaiser aus München, wie Franz Beckenbauer genannt wurde, immer vor. Noch heute ist mehr Fußballfans der eher peinliche Comeback-Versuch des aus Amerika heimgekehrten Beckenbauer im HSV-Trikot in Erinnerung als die Tatsache, dass Netzer der Manager von ebendiesem Hamburger SV war, als der unter Trainer Ernst Happel den Europapokal der Landesmeister holte. Und Netzer heimste den Grimme-Preis für seine TV-Kommentare ein – derweil der Guru aus Bayern, als er die WM 2006 ins Land geholt hatte, als Retter Deutschlands gefeiert wurde.

Und heute? Heute scheint sich Beckenbauer mehr und mehr im nebulösen Dickicht seiner Werbe- und Eheverträge zu verirren, im Gewirr seiner „heute-hier-und- morgen-gestern-Aussagen“. Derweil Netzer, diesmal ungestört, seine raumöffnenden Pässe spielt. „Immer hat irgendwer irgendwelche Qualitäten bei mir entdeckt, die er gebrauchen konnte“, sagt Netzer. Und auch, dass ihm Ehrgeiz peinlich ist. Das kann man ihm glauben oder auch nicht. Oder man kann sich an eine Anekdote erinnern, die Netzer gerne erzählt.

Es war einmal in irgendeinem Länderspiel, und Netzer legte sich den Ball für einen Freistoß zurecht. Das war immer ein Zelebrieren, ein bedächtiges, fast zögerliches Ausloten der Möglichkeiten. Und als er dann den Ball so liegen hatte, wie er ihn haben wollte und zurückschritt zum Anlauf, „da kam von hinten der Franz und haute ihn ins Tor. Da hat er mir mein Tor geklaut.“ Dergleichen dürfte so schnell nicht wieder geschehen. „Ich bin ein Mensch, der sich nicht gern in den Vordergrund stellt, sondern sich zurückhält und dadurch seine Fähigkeiten erst spät, wenn überhaupt, entdeckt“, sagt Netzer. Er hat jetzt den Manager in sich entdeckt, den Macher, den Regenten – was braucht’s da im neuen Büro noch verstaubte Fotos vom Freistoßkünstler?

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