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Sport: Der Rentnermacher

Sieg gegen Tennisheld Agassi in dessen letztem Match, nun Niederlage gegen Roddick – Benjamin Beckers ereignisreiche US Open

Der Arm schmerzt, das Telefon steht nicht mehr still, dauernd wird er angesprochen. Im Fahrstuhl in seinem New Yorker Hotel erkennen ihn die Leute und auf dem Platz in Flushing Meadows wollen Kinder Autogramme. Zeichen, dass alles nicht nur ein Traum war. Als Benjamin Becker vor knapp zwei Wochen seinen ersten Ball bei den US Open schlug, verschwendete er keinen Gedanken daran, wie es wäre, berühmt zu sein. Noch als er sich Andre Agassis Fünf-Satz- Drama gegen Marcos Baghdatis ansehen wollte, warfen sie ihn aus dem Arthur-Ashe-Stadion, weil er keine Sitzplatzkarte hatte. Nun reist er nach einer Niederlage in der vierten Runde gegen Andy Roddick ab, vor allem als der Mann, der Andre Agassi in Rente schickte. Als ein Stück Tennisgeschichte.

„Tu es für Andre“, riefen die Zuschauer im Arthur-Ashe-Stadion Roddick zu – doch der hatte ohnehin nicht vor, lange zu fackeln. Becker dagegen war ausgelaugt in seinem siebten Match. So viele brauchen sonst die, die im Hauptfeld stehen, bis ins Finale. Becker aber musste durch die Qualifikation und dann am Sonntag nicht nur gegen Nationalheld Agassi antreten, sondern auch gegen die 23 000 im größten Tennisstadion der Welt.

Wie es sich anfühle, den Mann aus dem Turnier zu werfen, der Agassis Karriere beendete, wurde Roddick nach seinem glatten 6:3, 6:4, 6:3 gefragt. „Sie meinen: den Mann zu erschießen, der Bambi erschossen hat?“, entgegnete der. „Fühlt sich besser an, als wenn man Bambi selbst erschießen muss, denk’ ich mal.“

Der Deutsche wiederum verbrachte die Stunden nach dem denkwürdigen Ereignis damit, sich zu entschuldigen. So richtig habe er seinen Sieg am Sonntag gegen die Tennislegende Agassi, den größten Erfolg seiner kurzen Profikarriere, nicht genießen können, bekannte Becker. Als er in die Kabine zurückkam, klatschten sie alle für den Geschlagenen, kaum einer nahm Notiz vom Sieger. Auf dem Centre Court hatte er nach dem Spiel getan, was das Klügste war, er überließ die Bühne Agassi, der Abschied nahm von einem Leben als Tennisprofi, das 21 Jahre währte.

So viel Zeit wird Becker nicht bleiben, er ist schon 25 und spielte in den vergangenen vier Jahren für ein College im texanischen Waco. Sein bravouröser Auftritt bei den US Open katapultiert ihn in die besten 100 der Weltrangliste, wie es weitergeht, weiß er noch nicht. „Ich bin eher bodenständig und stecke mir kurzfristige Ziele“, sagt der Saarländer, aufgewachsen in einer Familie, in der Fußball die größte Rolle spielt. Mit sieben fand er in der Garage seines Elternhauses einen alten Tennisschläger und war fasziniert, ein Nachbar gab ihm die ersten Tipps. Auf dem Platz riefen sie ihn bald „Boris“, nach dem Wimbledon- Sieger, mit dem er nicht verwandt und nicht verschwägert ist.

Als er mit der Schule fertig war, fühlte Becker sich nicht reif für ein Zirkusleben als Profi, also ging er in die USA, wo er am College Sport und Lehre besser miteinander verbinden konnte als in Deutschland. Nun hat er ausgelernt und versucht sich auf den Plätzen der Welt. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich auch Davis-Cup- Chef Patrick Kühnen noch für ihn interessiert. Als ihn jemand fragt, ob er mit dem Etikett „der Mann, der Andre Agassi in Rente schickte“, nun bessere Aussichten habe, eine Wild Card zu bekommen und nicht mehr durch die Qualifikationsmühle zu müssen, sagte Becker: „Ich glaube nicht, dass ich mit diesem Etikett für mich werben möchte.“

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