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Sport: Der Senior beim Jugendfest

Mit 49 Jahren startet Starbootsegler Alexander Hagen zum zweiten Mal bei Olympischen Spielen

Heute beginnen die olympischen Wettkämpfe. Zum Abschluss der Serie über deutsche Teilnehmer, die besondere Aufmerksamkeit verdienen, stellen wir heute den Mannschaftssenior vor: Alexander Hagen.

Berlin - Nicht einmal auf den Wind ist heutzutage noch Verlass. Die Segler kennen diese Winde, auf die man immer zählen kann. Der Mistral ist so einer, in Südfrankreich, oder der Meltemi, der scharfe griechische Nordwind. Als man die olympischen Segelwettbewerbe in die Bucht von Helleniko, 14 Kilometer südlich von Athen verlagerte, vertrauten die Organisatoren dem Meltemi. Er werde schon die nötige Konstanz in die olympischen Regatten bringen. Doch jetzt bläst der Meltemi plötzlich schwächer als jemals zuvor. „Das macht das Ganze unberechenbar“, sagt Alexander Hagen, und es klingt, als habe gerade jemand sein Großsegel in zwei Teile zerschnitten. Alexander Hagen mag keine Unberechenbarkeiten.

Hagen ist 49 Jahre alt und startet zusammen mit seinem Vorschoter Jochen Wolfram in der olympischen Starboot-Klasse. Wenn man ihn fragt, wie man sich so fühlt als 49-Jähriger bei einem Sportfest für die Jugend der Welt, dann fängt er erst einmal an zu rechnen: Vor 16 Jahren in Seoul hat er zum ersten Mal an Olympischen Spielen teilgenommen, in Athen erlebt er seine zweiten Spiele. Zweimal ist er auch Weltmeister geworden, 1981 und 1997. Dazwischen liegen ebenfalls 16 Jahre. Und dann ist da noch seine Tochter Felicitas, nach der er sein Boot benannt hat. Sie ist gerade 16 Jahre alt. „16 ist mein Rhythmus“, sagt Hagen.

Vielleicht wird man so als Segler, vielleicht muss man der Unberechenbarkeit dieses Sports einfach feste Größen entgegensetzen. Vor ein paar Jahren hat Hagen eine Formel entwickelt, mit der man das Gewicht des Vorschoters in Relation zu dem des Steuermannes setzen kann. Vorher war es immer so, dass in den Starbooten schwere Vorschoter und schwere Steuermänner saßen, beide meist über 100 Kilogramm. Von Hagen stammt der Spruch, dass es wohl genüge, einen Kartoffelsack als Vorschoter einzusetzen, so lange der nur schwer genug sei. Er selbst wog damals 75 Kilogramm, seine Chancen, jemals große Erfolge in der Starboot-Klasse zu feiern, waren verschwindend gering. Hagen fand das ungerecht und entwickelte diese Formel: 100 Kilogramm minus das Gewicht des Steuermanns geteilt durch zwei plus 100 ergibt das zulässige Höchstgewicht des Vorschoters. Die Formel setzte sich bei den internationalen Verbänden durch, und seitdem gehört in das Gepäck der Starbootsegler auch eine Waage.

Im Frühjahr dieses Jahres musste Hagen erneut einschreiten. Um zu entscheiden, welche deutschen Segler bei den Olympischen Spielen starten dürfen, gab es zwei Qualifikationsmöglichkeiten. Entweder man kam bei den Europameisterschaften in Spanien unter die ersten fünf oder bei den Weltmeisterschaften in Italien unter die ersten zwölf. Hagen und sein Vorschoter Wolfram wurden gleich bei der EM Vierter, die anderen schafften die geforderten Nominierungskriterien nicht. Also war der 49-jährige Hagen Olympiafahrer. „So sind eben die Regeln“, sagt er. Das wollte nicht jeder akzeptieren, Teamchef Jochen Schümann schlug vor, die Ausscheidung zu verlängern. Hagen protestierte, drohte mit Anwälten und setzte sich durch. Wenn man Hagen heute auf sein Verhältnis zum Teamchef anspricht, sagt er sehr lange gar nichts und dann „gut“. Er sagt, wenn Schümann zum Appell blase, also eine Mannschaftssitzung anberaume, dann müsse er da natürlich hin. Schümanns Aufgabe bestehe bei den Olympischen Spielen aber eher darin, ihn zu „beraten“.

Seit dem 2. August segelt Hagen vor der Küste Hellenikos. Und er fängt wieder an zu rechnen: 1988 in Soul ist er Zehnter geworden. Damals haben 20 Boote teilgenommen, in Athen sind es nur 17. Damit steigen seine Chancen auf eine olympische Medaille von 15 Prozent auf 17 Prozent. Und dann sagt der akribische Rechner Hagen einen für ihn sehr merkwürdigen Satz: „Manchmal braucht man einfach nur Glück.“

Stéphanie Souron

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