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Wird diese Prothese eine Revolution lostreten?

© dpa

Behindertensport: Markus Rehm könnte eine Revolution auslösen

Der unterschenkelamputierte Weitspringer Markus Rehm hat mit dem Deutschen Meistertitel und der EM-Qualifikation die Debatte um den Stellenwert von behinderten Sportlern neu angestoßen. Nun muss eine grundsätzliche Lösung her. Ein Kommentar.

Von Christian Hönicke

Gut möglich, dass Markus Rehm als Pionier in die Sportgeschichte eingehen wird. Am Sonnabend ist der beinamputierte Leichtathlet in Ulm nicht nur Deutscher Meister im Weitsprung geworden, sondern hat sich auch für die EM qualifiziert. Damit wird aus einer kuriosen Geschichte ein Fall mit weltweiter Beachtung. Die Causa Rehm hat das Potenzial, die bestehenden Verhältnisse im Sport auf den Kopf zu stellen.

In jedem Fall hat Rehm die Debatte um den Stellenwert des Behindertensports, die der ebenfalls beinamputierte Südafrikaner Oscar Pistorius einst losgetreten hatte, noch einmal angeschubst. Sein Auftritt in Ulm war ein Meilenstein für die Akzeptanz von behinderten Menschen, weil er sich heruntergewagt hat von der Insel der politischen Korrektheit und der falschen Barmherzigkeit. Denn machen wir uns nichts vor: Das sind auch die Paralympics trotz aller Anstrengungen weiterhin. Viele behinderte Athleten werden immer noch vor allem über ihr Schicksal definiert und erhalten das Schlimmste, was ein Sportler erhalten kann: Mitleid.

Das aber haben Rehm & Co. nicht verdient, und dagegen wehren sie sich zu Recht. Sie sollten als echte Sportler wahrgenommen werden, die sich für große Ziele genauso schinden wie Athleten ohne Behinderung. Und sie sollten anhand der gleichen Maßstäbe gelobt und kritisiert werden. Genau das hat Rehm bei seinem Sieg gegen die nichtbehinderte Konkurrenz in nie gekannter Deutlichkeit ins Bewusstsein gerückt.

Beim Thema der Chancengleichheit ist es nicht ganz so einfach. Nicht erst seit dem Streit um die Geschlechtszugehörigkeit der südafrikanischen Läuferin Caster Semenya ist klar: Für manche Dinge gibt es keine zufriedenstellende Lösung. Im Fall Rehm muss zumindest angezweifelt werden, ob er unter gleichen Bedingungen wie seine Kontrahenten an den Start gegangen ist. Die Gutachten darüber stehen noch aus, auch weil sich die Verantwortlichen hier offensichtlich nicht die Finger verbrennen wollten.

Eine Bühne für behinderte und nichtbehinderte Sportler wäre die Lösung

Die Tatsache, dass Rehm unterschiedliche Prothesen für Lauf- und Sprungwettbewerbe verwendet, lässt die Deutung zu, dass ihm die Technik einen Vorteil gewährt. Ein anderer Athlet kann sein Bein schließlich nicht einfach je nach Disziplin wechseln. Deswegen kann der Weltverband IAAF eigentlich nicht zulassen, dass Rehm auch künftig in der gleichen Klasse wie die Nichtbehinderten antritt. Sein Präzedenzfall würde eine Materialschlacht um Olympiagold und WM-Titel eröffnen, die nicht mehr zu kontrollieren wäre.

Es ist also keine Lösung für den Einzelfall gefragt, sondern eine grundsätzliche. Sie könnte in der Mitte liegen. Frauen etwa treten in den meisten Sportarten nicht gegen Männer an, weil sie biologische Nachteile wie die geringere Muskelmasse haben. Aber sie nutzen meist eine gemeinsame Bühne – niemand käme mehr auf die Idee, Olympia in Geschlechter aufzuteilen. Also: Behinderte und Nichtbehinderte zur gleichen Zeit im gleichen Stadion, aber in unterschiedlichen Wertungsklassen. Wenn Markus Rehm am Ende eine solche Revolution auslösen würde, wäre das mehr wert als sein Sieg in Ulm.

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