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Sport: Der siegende Holländer

Zum dritten Mal führt Guus Hiddink eine Mannschaft ins Halbfinale eines großen Turniers, und dort soll für Russland noch lange nicht Schluss sein

Massimo Busacca aus der Schweiz hat sich für seinen heldenhaften Einsatz eine besondere Auszeichnung verdient. Allerdings ist nicht ganz klar, ob er eine Tapferkeitsmedaille bekommen sollte oder doch besser eine Narrenkappe. Der vierte Offizielle beim Viertelfinale zwischen Holland und Russland kam seiner Aufgabe auch nach mehr als zwei Stunden noch mit dem nötigen Ernst nach. Auf der russischen Bank saß niemand mehr, alle Spieler und Betreuer hatten sich in freudiger Erwartung von ihren Sitzen erhoben, doch Busacca schritt die Reihe ab und nötigte sie, sich wieder hinzusetzen. Das Erstaunliche war: Die Russen folgten. In Momenten wie diesen pfeift man gewöhnlich auf alle Autoritäten. Russlands Fußball feierte am Samstag den größten Triumph seit 20 Jahren. 1988 stand die Sowjetunion im Endspiel der Europameisterschaft. Damals verlor sie 0:2 gegen Holland. 20 Jahre später siegten die Russen 3:1 nach Verlängerung. „Das ist ein enormer, ein unglaublicher Erfolg“, sagte Russlands holländischer Trainer Guus Hiddink.

Vor allem aber war es ein in jeder Hinsicht verdienter Erfolg. „Meine Mannschaft war technisch überlegen, sie war taktisch überlegen, und körperlich überlegen war sie auch“, sagte Hiddink. In der Verlängerung drängten nur die Russen, obwohl der späte Ausgleich durch Ruud van Nistelrooy die Holländer psychologisch hätte begünstigen müssen. Aber Hiddinks Elf erwies sich auch mental erstaunlich gefestigt. Russlands Trainer wurde nach dem Viertelfinale gebeten, eine kurze Erklärung zum Spiel abzugeben. Es folgte ein vierminütiges Grundsatzreferat, bis Hiddink selbst feststellte: „Ich rede schon viel zu lange.“ Etwas schob er aber noch nach: „Ich bin stolz auf alle meine Spieler, extrem stolz.“

Vor 20 Jahren hat Hiddink mit Eindhoven den Europapokal der Landesmeister gewonnen, mit Real Madrid holte er 1998 den Weltpokal, in Südkorea ist er zum Helden aufgestiegen, in Australien wird er verehrt, aber nach diesem Sieg mit der jungen russischen Mannschaft sprach er davon, dass er so etwas noch nicht oft erlebt habe in seiner Karriere. Vielleicht hat sich da wirklich eine perfekte Kombination gefunden: ein Land mit fast unbegrenzten finanziellen und fußballerischen Möglichkeiten, aber ohne nennenswerte Erfolge und ein Trainer, der Mannschaften regelrecht zum Erfolg trainieren kann.

Das Viertelfinale in Basel war auch so etwas wie das Duell Holland I mit Holland II, und an diesem Abend erwiesen sich die Russen als die wahren, die besseren Holländer. Sie spielten dynamisch, sie kombinierten, sie waren mutig – all das, was als typisch holländisch gilt. Das Original in Orange mag die ausgebuffteren Spieler haben, Russland hatte den ausgebuffteren Trainer. Sein taktischer Plan funktionierte perfekt. Hiddink wollte die Holländer zwingen, ihr Spiel über ihre schwächere rechte Seite aufzubauen. Deshalb rückte der Nürnberger Iwan Sajenko in die Mannschaft mit dem expliziten Auftrag, den offensivstarken linken Außenverteidiger Giovanni van Bronkhorst in der Defensive zu binden.

„Er hat es perfekt gemacht“, sagte Hiddink. Sajenko blockierte die Nachschubwege für van Nistelrooy, Sneijder und van der Vaart, auf der anderen Seite lockerten die Holländer ihre Defensive, weil Khalid Boulahrouz offensiver sein musste als gewohnt. Dadurch wiederum ergaben sich für die Russen auf ihrer starken linken Seite mit der Ausnahmeerscheinung Andrej Arschawin und Juri Zirkow zusätzliche Räume, die sie mit Genuss nutzten. Die ersten beiden Tore der Russen wurden von dort eingeleitet.

Nach Holland bei der WM 1998 und Südkorea 2002 führte Hiddink zum dritten Mal eine Mannschaft ins Halbfinale eines großen Turniers. Ins Endspiel schaffte er es nie, doch nach dem Auftritt gegen sein Heimatland sind die Russen längst kein Außenseiter mehr. Sie haben die Mannschaft besiegt, die in der Vorrunde das Publikum am stärksten beeindruckt hat, und das mit deren eigenen Mitteln. „Wir haben einen Supertrainer“, sagte Sajenko. „Er hat uns gesagt: Jungs, ihr braucht euch nicht zu verstecken. Ihr könnt gegen jeden gewinnen.“ Es gibt sicher keinen Grund mehr, an Guus Hiddinks Worten zu zweifeln.

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