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Unter seiner Flagge. Guor Marial geht für den neu gegründeten Südsudan an den Start, lebt aber am Grand Canyon im US-Bundesstaat Arizona. Foto: Reuters

© REUTERS

Sport: Der Sklaverei entflohen

Als Kind musste GUOR MARIAL vor dem Krieg davonlaufen – jetzt läuft er für den Südsudan bei Olympia.

London - Was Guor Marial erlebt hat, sprengt jede Vorstellungskraft. Seine Geschichte ist eine der besonderen der Spiele, vielleicht die unglaublichste aller 14 000 Athleten. Von unvorstellbar grausam bis tief traurig, liefert sie am Ende doch ein Happy End. Auf alle Fälle empfindet das Guor Marial so, der bei Olympia als staatenloser Marathonläufer startet, früher als Sklave gehalten wurde, von arabischen Nomaden verschleppt, acht seiner zehn Schwestern und Brüder in einem grausamen Krieg verlor, der über 20 Jahre dauerte und zwei Millionen Tote forderte. „Dass ich bei Olympia starten kann, ist wie ein Zeichen. Gott zeigt mir den Weg, er hilft anderen durch meine Geschichte“, sagte Marial der „Times“. Inzwischen lebt der 28-Jährige als anerkannter Flüchtling in den USA.

Marial gehört einer christlichen Minderheit an, was im Südsudan lebensgefährlich war und ist. Als Kind lernte er, schnell zu laufen. Es ging dabei nicht um Medaillen und Rekorde. Es ging um sein Leben. Immer wieder wurde sein Dorf im Krieg überfallen und niedergebrannt, wer es in die Wälder schaffen wollte, musste schnell sein und hatte bis zum nächsten Überfall nur seine nackte Haut gerettet.

Auch in London wird Marial laufen. Es geht nicht mehr um sein Leben, es geht um eine Botschaft, die „anderen Hoffnung machen soll“. Die, dass es etwas gibt, das stärker ist als das Leid. „Ich habe Laufen gehasst, ich bin nur gelaufen, um mein Leben zu retten“, berichtet er. Mit neun sollte er zu Verwandten in die Hauptstadt Khartoum, seine Eltern dachten, er sei dort sicher. Bei einer Durchsuchung im Haus seines Onkels brach ihm ein Soldat mit dem Gewehrkolben den Kiefer, er wurde von Nomaden entführt und musste Ziegen hüten. Nach seiner Flucht hielt ihn ein sudanesischer Offizier im Westen des Sudan als persönlichen Sklaven.

Wieder gelang ihm die Flucht. Über Ägypten erreichte er die USA. Über eine Highschool bekam er ein Stipendium an der Iowa State University und lief für deren Leichtathletikteam. Er schaffte die Olympianorm im Marathon, für die USA aber konnte er als Flüchtling nicht starten. Für den Sudan wollte er nicht laufen. „Damit hätte ich meine Leute verraten und all die Toten, die im Krieg für Freiheit und die Hoffnung auf ein besseres Leben sterben mussten“, sagt er. Der neu gegründete Südsudan besaß kein eigenes olympisches Komitee.

Guor Marial hatte wieder Glück. Ein in den USA ansässiger Anwalt nahm sich seines Falles an und begann, eine Lobbymaschine in Gang zu setzen. Er besuchte Kongressabgeordnete, hohe Beamte der US-Regierung, trug Marials Fall bei den Vereinten Nationen vor und fand Unterstützung bei Journalisten, die Druck auf offizielle Stellen ausübten. Der südsudanesische Präsident schrieb Briefe. Drei Wochen vor Olympia reagierte das IOC und garantierte ihm einen Startplatz.

Aus dem Sklaven wurde ein Olympiaathlet. „Ich war sprachlos“, sagte Marial. „Jetzt hat der Südsudan einen Platz auf dieser Welt gefunden. Für uns ist das ein großer Schritt.“ Seinen Eltern ließ er ausrichten, sich am 12. August, wenn er läuft, in einer nahe gelegenen Stadt einen Fernseher zu suchen – in seinem Dorf gibt es keinen Strom. Und er selbst musste plötzlich trainieren „wie ein Athlet“ und nebenbei seinen Job in einer Behindertenwerkstatt weitermachen. Eine Medaille wird Guor Marial in London nicht gewinnen. „Ich bin dabei“, sagt er. „Allein das ist wie eine Goldmedaille.“ Oliver Trust

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