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Sport: Der Sonntagsschuss: Fußball-Kunst in homöopathischen Dosen

Wenn in der nächsten Woche die Viertelfinalspiele der Champions League angepfiffen werden, ist das zweite Jahr in Folge keine italienische Mannschaft mehr dabei. Ohne jede Gehässigkeit: Man kann froh darüber sein.

Wenn in der nächsten Woche die Viertelfinalspiele der Champions League angepfiffen werden, ist das zweite Jahr in Folge keine italienische Mannschaft mehr dabei. Ohne jede Gehässigkeit: Man kann froh darüber sein. So lustvoll überdreht die Begleitung des Spiels südlich der Alpen durch Tifosi und Medien auch sein mag, der dort gespielte Fußball ist keiner, wie man ihn sich wünscht. "Hässlich" nannte ihn Zinedine Zidane nachdem er sich von Juventus Turin zu Real Madrid verabschiedet hatte, und der Brasilianer Ronaldo klagte neulich: "In Italien gibt es den Catenaccio immer noch, sie nennen ihn nur nicht mehr so."

Giorco molto tattico. So heißt die höfliche Umschreibung stahlharter Defensive heutzutage, und ein sehr taktisch ausgerichtetes Spiel beinhaltet die Verabredung zum Nichtangriffspakt. Zu den Glaubenssätzen, die uns in den vergangenen Jahren eingebleut worden sind, gehört die Behauptung, dass italienische Mannschaften taktisch wesentlich geschulter sind als deutsche Teams. Das stimmt zweifellos, doch der dabei gezeigte Stil führt zu einer Verschwendung von Ressourcen. Noch immer ist eine große Zahl der weltbesten Spieler in Italiens Seria A unter Vertrag, ihre Kunst dürfen sie jedoch nur in homöopathischen Dosen vorführen. Kein Tor zu kassieren, ist wieder einmal die höchste Maxime, als hätte es nie die Zeiten eines Arrigo Sacchi beim AC Mailand gegeben, in denen die Meisterschaft mit fliegenden Fahnen gewonnen wurde. Italienischer Fußball wirkt derzeit wie in die dunklen Sechziger Jahre des Catenaccio zurückgefallen, so als ob man Ferraris kauft, um mit ihnen durch verkehrsberuhigte Zonen zu tuckern.

Das, so hat sich in der Champions League erneut gezeigt, ist jedoch auf internationalem Spitzenniveau nicht mehr Stand der Dinge. Ohne eine hochentwickelte taktische Ordnung schafft man es zweifellos nicht mehr unter die letzten acht Mannschaften der Champions League. Aber die Mannschaften, die sich dort messen, haben inzwischen fast durchgehend eine deutlich offensive Ausrichtung. Wie man die Kräfte zwischen Angriff und Verteidigung ausbalanciert, zeigen am besten die Spanier, im Zweifelsfall bieten sie lieber zu viel Offensive auf - und sind wie schon im Vorjahr mit drei Teams im Viertelfinale.

Ermutigend ist das, und es spricht für einen Trend zur Offensive, der sich auch bei den Nationalmannschaften zeigt. Frankreich oder Argentinien suchen als große Favoriten für die WM den Erfolg durch eine Mehrzahl an erzielten Treffern und nicht durch die Minderzahl an Gegentoren. Der strenge Blick auf die Defensive ist derzeit nur etwas für Underdogs, die sich aufgrund ihrer Mängel durchzuwursteln suchen.

Der italienische Fußball hat diese Entwicklung verschlafen, krankt aber auch an anderen Stellen. In den vergangenen Jahren wurde von den Klubpräsidenten in einem Maße Geld verjubelt, dass sich daneben selbst Sonnenkönig Ludwig XIV. wie ein knickeriger Kleinbürger ausnehmen würde. Das barocke Transfer-Ballyhoo, bei dem sich die Vereine mit immer neuen Rekordtransfers zu überbieten suchten, sorgt aber nicht nur für finanzielle Probleme und drohende Insolvenzen, sondern schlägt sich auch sportlich nieder.

Beim aufgeregten Verschieben der Su-perstars zwischen den Klubs wird übersehen, dass Mannschaften zusammenwach-sen müssen. Der überraschende Erfolg des Aufsteigers Chievo bewies das. In der Zweiten Liga hatte sich das Team ohne Stars entwickeln können und machte beim Aufstieg gemeinsam einen Entwicklungssprung. Einen solchen verhindern die Großklubs in Mailand, Turin und Rom dadurch, dass sie Jahr um Jahr ihre Kader völlig umkrempeln. Exilanten wie Gianfranco Zola oder Paulo di Canio, die in England spielen, haben darauf hingewiesen, dass der Profijob nirgendwo so belastend sei wie in ihrer Heimat. Das Hin und Her von Spielern und Trainern sorgt für ständige Instabilität.

Zusammenfügen kann sich da auf dem Rasen nichts. Gerade das heute so wichtige Kurzpassspiel, mit dem man sich aus der Enge des Raums befreien muss, entwickelt sich selbst bei den besten Spielern nicht automatisch. Kein Wunder, dass viele italienische Spitzenteams inzwischen häufig mit langen Bällen operieren, wie der ehemalige Nationaltrainer Dino Zoff unlängst klagte. Freudlos ist das für alle Beteiligten auf dem Rasen. Und die Ausländer versuchen, sich davon zu machen. Mit Thuram und Trezeguet etwa sind nur noch zwei Spieler aus dem französischen Team in Italien unter Vertrag, wobei Trezeguet hofft, demnächst bei Arsenal London wieder mehr Spaß am Fußball zu haben.

Auf Dauer dürfte es dann auch den Fans des jeweiligen Italienischen Meisters nicht mehr reichen, die Besten unter den nicht mehr ganz so Guten zu sein.

Christoph Biermann

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